Das Leben dieser Menschen hat die Journalistin Jessica Bruder in ihrem 2017 erschienen Buch „Nomadland: Surviving America in the Twenty-First Century“ beschrieben. Die junge Regisseurin Chloé Zhao („The Rider“) hat daraus einen Film gemacht, der uns mit dem Leben, dem Lebensstil, der ganzen Welt dieser Menschen vertraut macht. Ungeschönt zeigt sie uns, was es bedeutet, ganz am Rand einer gewinnorientierten Gesellschaft zu leben, wenn man sich trotzdem nicht als Verlierer fühlen will.
Dabei schont Zhao weder die Zuseher noch ihre Hauptdarstellerin. Bereits in einer der ersten Szenen sehen wir die Frances McDormand, eine der großen Charakter-Darstellerinnen unserer Zeit, ihre Notdurft im Freien verrichten. Später lernen wir praktische Tipps zum Leben „on the road“, wie zum Beispiel, dass man für das Leben in einem Van einen 5-Gallonen-Eimer benötigt. Wenn man in einem Prius lebt, muss eben ein 2-Gallonen-Eimer reichen. Und wenn die Knie nicht mehr so wollen, tut man sich mit einem 7-Gallonen-Eimer leichter, aber eben bloß wenn man genug Platz hat.
Es sind Szenen wie diese, die erkennen lassen, wie mutig die Macher dieses Films waren, als sie „Nomadland“ konsequent für Menschen mit Herz und Verstand gemacht haben. Man braucht seinen Verstand, um schnell den Zusammenhang zwischen schwachen Knien und den Vorteilen eines größeren Eimers zu verstehen. Und man braucht sein Herz, um erkennen zu können, welche tiefen Einblicke uns kurze Szenen wie diese gewähren. Denn Regisseurin und Drehbuchautorin Zhao und Hauptdarstellerin und Co-Produzentin McDormand erklären uns nichts. Sie zeigen uns, was es zu sehen gibt. Sie lassen uns eine Welt erfahren. Es liegt an uns, hinzusehen und die Erfahrung zu teilen.
Vielleicht klingt das alles, als wäre „Nomadland“ kein schöner Film. Das Gegenteil trifft zu. „Nomadland“ ist wunderschön. Aber dieser Film ist nicht schön, wie ein majestätischer Adler, der über malerischen Berggipfeln kreist. Er ist schön, wie ein alter Straßenhund, der sich ein Plätzchen in der Sonne gesucht hat und ausruht, bevor er wieder seine ewige Suche nach Essbarem und seinen Kampf ums Überleben weiterführen muss. Dieser Film ist nicht schön wie Michelangelos Skulptur des David. Er ist schön wie James Earle Frasers Statue „End of the Trail“, die einen erschöpften amerikanischen Ureinwohner auf seinem müden Pferd zeigt, der einfach nicht mehr weiter kann, weil ihn die Gier des weiße Mannes bereits an die Küste des Pazifiks getrieben hat.