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*** Nomadland ***

 

ouatih kritik

Autor: Walter Hummer
 
Immer wieder laufen neue Filme an, wie wir sie bereits tausende Male gesehen haben. Mit „Nomadland“ hat Chloé Zhao einen Film gemacht wie wir ihn vorher kaum jemals zu sehen bekommen haben …
 
I never promised you a Rose Garden
 
Der Film beginnt mit einem eingeblendeten Text, der uns über die Schließung eines Bergwerks in der Stadt Empire in Nevada im Jahr 2011 informiert und wie die Stadt kurz danach zu existieren aufgehört hat. Wir sehen Fern (Frances McDormand), eine Witwe von 60 Jahren, die Stadt in einem alten Van verlassen. Dieser Van wird sie nicht bloß von einem schlechtbezahlten Gelegenheitsjob zum nächsten transportieren, er wird ihr Zuhause werden. Auf ihrem Weg durch die weite Landschaft des amerikanischen Westens trifft sie viele Menschen, die ein ähnliches Schicksal erlitten und sich für den gleichen Lebensstil entschieden haben …
 
1939 schrieb der spätere Nobelpreisträger John Steinbeck „Früchte des Zorns“. In diesem Roman wird das Leben armer Wanderarbeiter beschrieben, wie sie für schlechtbezahlte Jobs weite Teile der USA durchqueren um sich ausbeuten zu lassen und unter furchtbaren Bedingungen mit ihren Schicksalsgenossen in Camps entlang der Straße zu leben. Mehrere Generationen später haben sich bloß die Fahrzeuge und die Arbeitgeber geändert. Im 21. Jahrhundert leben die Menschen, deren amerikanischer Traum ausgeträumt ist, in klapprigen Vans statt in Ford Modell Ts. Sie pflücken keine Äpfel mehr, sondern verpacken Konsumgüter in amazon-Lagerhäusern oder braten Fritten und Burger in Franchise-Restaurants.
 
 
Das Leben dieser Menschen hat die Journalistin Jessica Bruder in ihrem 2017 erschienen Buch „Nomadland: Surviving America in the Twenty-First Century“ beschrieben. Die junge Regisseurin Chloé Zhao („The Rider“) hat daraus einen Film gemacht, der uns mit dem Leben, dem Lebensstil, der ganzen Welt dieser Menschen vertraut macht. Ungeschönt zeigt sie uns, was es bedeutet, ganz am Rand einer gewinnorientierten Gesellschaft zu leben, wenn man sich trotzdem nicht als Verlierer fühlen will.
 
Dabei schont Zhao weder die Zuseher noch ihre Hauptdarstellerin. Bereits in einer der ersten Szenen sehen wir die Frances McDormand, eine der großen Charakter-Darstellerinnen unserer Zeit, ihre Notdurft im Freien verrichten. Später lernen wir praktische Tipps zum Leben „on the road“, wie zum Beispiel, dass man für das Leben in einem Van einen 5-Gallonen-Eimer benötigt. Wenn man in einem Prius lebt, muss eben ein 2-Gallonen-Eimer reichen. Und wenn die Knie nicht mehr so wollen, tut man sich mit einem 7-Gallonen-Eimer leichter, aber eben bloß wenn man genug Platz hat.
 
Es sind Szenen wie diese, die erkennen lassen, wie mutig die Macher dieses Films waren, als sie „Nomadland“ konsequent für Menschen mit Herz und Verstand gemacht haben. Man braucht seinen Verstand, um schnell den Zusammenhang zwischen schwachen Knien und den Vorteilen eines größeren Eimers zu verstehen. Und man braucht sein Herz, um erkennen zu können, welche tiefen Einblicke uns kurze Szenen wie diese gewähren. Denn Regisseurin und Drehbuchautorin Zhao und Hauptdarstellerin und Co-Produzentin McDormand erklären uns nichts. Sie zeigen uns, was es zu sehen gibt. Sie lassen uns eine Welt erfahren. Es liegt an uns, hinzusehen und die Erfahrung zu teilen.
 
Vielleicht klingt das alles, als wäre „Nomadland“ kein schöner Film. Das Gegenteil trifft zu. „Nomadland“ ist wunderschön. Aber dieser Film ist nicht schön, wie ein majestätischer Adler, der über malerischen Berggipfeln kreist. Er ist schön, wie ein alter Straßenhund, der sich ein Plätzchen in der Sonne gesucht hat und ausruht, bevor er wieder seine ewige Suche nach Essbarem und seinen Kampf ums Überleben weiterführen muss. Dieser Film ist nicht schön wie Michelangelos Skulptur des David. Er ist schön wie James Earle Frasers Statue „End of the Trail“, die einen erschöpften amerikanischen Ureinwohner auf seinem müden Pferd zeigt, der einfach nicht mehr weiter kann, weil ihn die Gier des weiße Mannes bereits an die Küste des Pazifiks getrieben hat.
 
03 ©2021 Fox Searchlight Pictures04 ©2021 Fox Searchlight Pictures05 ©2021 Fox Searchlight Pictures06 ©2021 Fox Searchlight Pictures
 
„Nomadland“ ist wunderschön, weil er uns nichts erspart und nichts erklärt. Die Macher des Films zeigen uns eine Seite der USA, die uns sonst kaum je gezeigt wird. Sie zeigen uns Teile dieses Landes, die nur selten zu sehen sind. Ganz nebenbei zeigen sie uns ein System, das längst nicht mehr auf die USA beschränkt ist. Wir sehen Aspekte unseres Wirtschaftssystems, die wir nur zu gerne ignorieren. Dabei bekommen wir keine plumpe Kapitalismuskritik vorgesetzt. Der Zuseher muss selbst seinen Verstand und sein Herz benutzen, um zu erkennen, es braucht Menschen wie Fern, damit wir alles Mögliche jederzeit gratis von amazon geliefert bekommen können. Hinter jedem Burger für 1,- Euro stecken menschliche Schicksale.
 
On the Road again
 
Frances McDormand („Three Billboards“) hat ein Gesicht wie die Landschaft, die ihre Figur im Film bereist: herb und doch wunderschön. Und wie bei der Landschaft des amerikanischen Westens muss man genau hinsehen, um zu bemerken, dass dieses Gesicht immer wieder ein bisschen anders aussieht. McDormands Augen haben mehr Ausdruck als ganze Abschlussklassen des Reinhardt-Seminars. Mit ihren Mundwinkeln vermittelt sie mehr von der Geschichte ihrer Figur als andere Darsteller mit ihrem ganzen Körper könnten.
 
Nach „Fargo“ spielt sie hier wieder eine Rolle, wie sie von keiner anderen Darstellerin gespielt werden könnte. Wie die Figur der Fern im Film, leistet McDormand in diesem Film Erstaunliches und ist sich für nichts zu schade. Aber wie auch bei Fern, wären McDormands Mühe und Einsatz einfach nicht genug, wenn sie nicht die Hilfe und Unterstützung der Schicksalsgenossen entlang der Landstraße hätte. Linda May, Swankie, Bob und die anderen „vandweller“ werden alle nicht von Schauspielern dargestellt. Diese Menschen leben tatsächlich so wie im Film beschrieben, erzählen von ihrem echten Leben, von ihren wirklichen Erfahrungen. Man möchte mit jedem von ihnen noch mehr Zeit verbringen, noch mehr von ihrem Leben erfahren und kann am Ende nur auf ausgiebiges Bonusmaterial auf der DVD hoffen.
 
Unter all diesen faszinierenden Charakteren geht die Leistung von David Strathairn („Dolores“, „Good Night, and Good Luck“) fast unter. Er zeigt als zweiter professioneller Schauspieler neben McDormand eine großartig zurückhaltende Darstellung eines Mannes, der einen ähnlichen Weg wie Fern zurückgelegt hat, aber trotzdem an einem anderen Punkt dieses Weges angekommen ist.
 
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Fazit
 
Ein Film wie wir ihn vorher kaum jemals zu sehen bekommen haben. Ungeschönt und trotzdem wunderschön bekommen wir hier die Schattenseiten des amerikanischen Traums gezeigt. Dieser Film hätte jeden der Oscars verdient, für die er nominiert wurde.
 
 
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