Im Jahr 2015 erwies sich Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ als Überraschungserfolg, der sich bis heute mehr als eine Viertelmillion Mal verkauft hat. Der Roman wurde auch zur Grundlage eines Theaterstücks, das auf Dutzenden deutschen Bühnen aufgeführt wurde. Nun gibt es die filmische Adaption von Neele Leana Vollmar, die hier erstmals auch das Drehbuch geschrieben hat – zusammen mit Lars Hubrich, der schon Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ adaptiert hatte. Herausgekommen ist ein wundersamer Film über das Erwachsenwerden, die Liebe, das Leben und das Sterben.
Leben in der Provinz
Herbst 1983: Höppner (Damian Hardung) und seine Freunde besuchen ein Gymnasium irgendwo am Arsch der Welt. Er ignoriert seine Musterungsaufrufe, während Frieder (Max von der Groeben), von dem er immer die Hausaufgaben abschreibt, was ihm den Weg zum Abi sichern könnte, einen Selbstmordversuch unternimmt. Höppner besucht Frieder danach in der nahegelegenen geschlossenen Anstalt. Er erfährt, dass Frieder wieder raus darf, aber nicht alleine leben kann. Bei seinen Eltern will Frieder nicht leben, aber seine Familie besitzt ein Haus, in dem er als Kind einst lebte. Wenn sich eine WG findet, kann Frieder dort leben.
Höppner überzeugt seine Freundin Vera (Luna Wedler), dort einzuziehen. Außerdem spricht er mit der Streberin Cäcilia (Devrim Lingnau), die auch einzieht – ins Auerhaus. Ganz leicht fällt das Zusammenleben nicht, hat doch jeder seine eigenen Probleme: Vera ist sich ihrer Liebe unsicher und will sich ausprobieren, Höppner wurde endlich gerne mit ihr schlafen, Cäcilia versucht, sich selbst zu finden, und Frieder denkt noch immer darüber nach, nicht mehr leben zu wollen. Denn sich umbringen und nicht mehr leben wollen, das sind, so meint er zu Höppner, zwei sehr unterschiedliche Dinge.
Vom Erwachsenwerden
Der Roman hat seine Leser beeindruckt, der Film steht dem in kaum etwas nach. Denn AUERHAUS erweist sich als ebenso cleverer wie emotionaler Blick in die Seele von Jugendlichen, in ihre Erlebniswelten, ihre Wünsche, ihre Sehnsüchte, aber auch ihre Ängste. Im Grunde nimmt sich der Film eines schweren Stoffes an, doch er lässt ihn leichtfüßig wirken, weil er es schafft, immer genau die richtige Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor zu wahren.
Es gibt viel zu lachen im AUERHAUS, aber dieser Humor erscheint nie aufgesetzt. Er ergibt sich aus der Situation, die manchmal gar nicht zum Lachen ist – und es dennoch herausfordert, um mit ihr fertig zu werden. Das ist ausgesprochen geschickt gestaltet, zumal alle Handlungsträger fein tarierte Charaktere haben, die sehr unterschiedlich voneinander sind. Über allem hängt immer die Angst, dass Frieder sich doch noch etwas antun könnte. Der Film spielt damit, bleibt ambivalent in Hinblick auf das, was der junge Mann will und präsentiert doch genügend Details, die zeigen, wohin die Reise geht. Dieser Film ist wie das letzte Aufbäumen vor der großen Veränderung. Er erzählt von den letzten Momenten, in denen Höppner und seine Freunde noch Jugendliche sind, aber schon die Erwachsenenwerdung begonnen haben. AUERHAUS ist auch, wenn man so will, der Abschied von einem Lebensabschnitt.
Insel der Glückseligkeit
Das Auerhaus ist jeden seiner Bewohner etwas ganz Wichtiges, vor allem aber ein Ort, an dem aus dem provinziellen Regelwerk des Dorfs ausgebrochen werden und man wirklich frei sein kann. Das Haus ist fast schon ein mystischer Ort, weil es jeden seiner Bewohner auf seinen Weg bringt, zugleich ist aber auch vom ersten Moment an klar, dass diese Zeit der Glückseligkeit nur von kurzer Dauer sein kann. Umso wertvoller ist diese Zeit für alle Beteiligten, deren Wege sich am Ende dieses Films trennen – und vielleicht niemals wieder zueinander führen werden.
AUERHAUS erzählt vielschichtig und kann dabei auf ein hervorragendes Ensemble zurückgreifen. Zugleich lenkt der Film das Augenmerk auf das Krankheitsbild der Depression, die Frieder in ihrem Griff hält. Der Film enthält sich einer Erklärung, warum er sich umbringen wollte. Es gibt Implikationen, Hinweise, aber nichts Definitives, dafür jedoch die Erklärung von Höppners Mutter, wie Depressionen sich auswirken. Das war dem jungen Mann vorher nicht bewusst, und doch erlebt er genau das, was seine Mutter beschreibt, mit Frieder immer wieder.
Fazit
Exzellent geschriebener, packend inszenierter Film mit einem umwerfenden Ensemble, das ganz und gar in seinen Rollen aufgeht. Humor und Ernsthaftigkeit gehen hier Hand in Hand, die Figuren sind wohl durchdacht und erwachen so zum Leben. AUERHAUS ist ein wunderbarer Coming-of-Age-Film, der auf Klischees weitestgehend verzichtet, sondern mit Wahrhaftigkeit glänzt.