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Kritik: Bugonia

 
sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Yorgos Lanthimos arbeitet nach “Kinds of Kindness” nun wieder mit Emma Stone, Jesse Plemons und einer Menge anderer vertrauter Namen hinter der Kamera zusammen. Hat sich das eingespielte Team weiterentwickeln können?
 
Where have all the flowers gone?
 
Der Verschwörungstheoretiker Teddy und sein leicht zu beeinflussender Cousin Don entführen die Konzernchefin Michele. Teddy ist überzeugt, Michele sei eine Abgesandte einer feindlichen Alien-Spezies, die nur vorgibt ein Mensch zu sein. Gefangen im Keller von Teddys Haus soll Michele in den vier Tagen bis zur nächsten Mondfinsternis für Kontakt zu ihrem Mutterschiff sorgen. Die intelligente, knallharte Michele befindet sich also in einer fast ausweglosen Lage …
 
Yorgos Lanthimos‘ erster internationaler Film, „The Lobster“ war einer der originellsten Filme dieses Jahrtausends. Konsequenterweise hat praktisch niemand diesen Film im Kino gesehen. „The Killing of a Sacred Deer“ war ein faszinierendes, verstörendes Drama, das damals vielleicht vier Leute mehr gesehen haben. Erst „The Favourite“ brachte 2018 den Durchbruch für Lanthimos. Seither hat er mit „Poor Things“ und „Kinds of Kindness“ weitere skurrile Dramen gedreht, jedes mit seiner Muse Emma Stone in der Hauptrolle. „Bugonia“ ist wieder ein skurriles Drama mit Emma Stone in der Hauptrolle.
 
Soweit so wenig überraschend. Und natürlich erreicht auch „Bugonia“ wieder filmtechnische Qualität, wie man sie pro Jahr höchstens zwei oder dreimal im Kino sieht. Die Arbeit von Lanthimos’s Stammkameramann Robbie Ryan ist auf undramatische Art und Weise grandios. Bilder der hochglanzpolierten Welt der Elite und des heruntergekommenen Amerika der Unterschicht kombiniert Ryan zu einem bewegten Gemälde für Filmfans. Montiert wurde alles wieder mit meisterhafter Präzision von Yorgos Mavropsaridis, der seit Lanthimos‘ frühen, noch in Griechenland entstandenen Filmen stets für den Schnitt verantwortlich zeichnet.
 
 
Das Haus des Entführers, in dem ein Großteil der Handlung stattfindet, ist mit seinen belebten und abgewohnten Räumen praktisch ein dritter Hauptdarsteller. Ich wollte ursprünglich die großartige Leistung der Location-Scouts loben, bevor meine Recherchen ergeben haben, dass dieses Haus, diese Essenz des provinziellen Amerika aus Holz und Rigips, tatsächlich von Production Designer James Price entworfen und neu gebaut wurde. Er hat sich dafür nach „Poor Things“ seinen zweiten Oscar verdient.
 
Auch Komponist Jerskin Fendrix hat bereits an „Poor Things“ und „Kinds of Kindness“ mit Lanthimos zusammengearbeitet. Hier klingt seine Musik erhaben wenn sie uns die Bienen eines Imkers zeigt, während sie dramatische Szenen angenehm zurückhaltend untermalt.
 
Der noch recht unbekannte Autor Will Tracy arbeitet zum ersten Mal mit Lanthimos zusammen. Leider wirkt sein Drehbuch recht unentschlossen und ist ganz allgemein leider nicht so schlau ausgefallen, wie der Autor wohl meint. Fairerweise muss man jedoch feststellen, letzteres galt auch schon für die Drehbücher von Lanthimos letzten beiden Spielfilmen. Und auch hier mag die hochwertige Inszenierung das Feuilleton wieder darüber hinwegtäuschen können. Tracys Drehbuch versorgt die hervorragenden Darsteller*innen mit Dialogzeilen, aus denen diese das Beste machen können. Stone spricht diese im typischen Duktus des gehobenen Managements und liefert so ganz nebenbei eine amüsante kleine Satire ab. Und Plemons spricht fließend Dunning-Kruger, etwa wenn sein Verschwörungstheoretiker meint, „I’ve done a shit ton o‘ research!“. Einzelne Stellen liefern mit Andeutungen interessanter Vorgeschichte und Subtextes weiteres Material für echte darstellerische Meisterleistungen.
 
Where have all the young girls gone?
 
So wird “Bugonia” schnell zum ein Fest für drei Schauspieler*innen. Unter ihnen ist ein junger Mann namens Aidan Delbis zwar der Unbekannteste, sein Beitrag kann aber gar nicht hoch genug geschätzt werden. Aidan Delbis hat bisher noch nie vor einer Film- oder Fernsehkamera agiert. Seine Schauspielerfahrung konnte er bei „The Miracle Project“ sammeln, einer inklusiven Theatergruppe in Los Angeles. Delbis, selbst auf dem Autismus-Spektrum, besticht hier mit der zutiefst menschlichen Darstellung eines jungen Mannes, der Verständnis, Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit gesucht und am falschen Ort gefunden hat.
 
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Die Zeiten in denen Jesse Plemons mittelmäßige Filme wie „Barry Seal: Only in America“, „Game Night“ oder „Vice“ mit seinen Leistungen in Nebenrollen aufgewertet hat, sind glücklicherweise vorbei. Nicht erst seit er in „Civil War“ in einer einzigen Szene den ganzen Film und alle anderen Schauspieler*innen darin überschattet hat, ist einer der besten Schauspieler seiner Generation. In „Bugonia“ spüren wir die ganze Trauer, die ganze Wut, die ganze verzweifelte Entschlossenheit und noch mehr eines Menschen, der an jeder Weggabelung die falsche Richtung eingeschlagen hat.
 
Emma Stone hat sich Laufe der letzten Jahre, nicht nur in der Zusammenarbeit mit Yorgos Lanthimos, ebenfalls zu einer der interessantesten Darstellerinnen unserer Zeit entwickelt. Mutig stürzt sie sich in jedes neue Projekt, in jede neue Rolle. Meistens funktioniert das, wie in „The Favourite“, manchmal funktioniert das weniger, wie in „Aloha“ und manchmal ist das Ergebnis grenzwertig, wie in „Poor Things“. In „Bugonia“ funktioniert das ganz wunderbar. Bis zu einem gewissen Punkt …
 
When will they ever learn?
 
Die Arbeit eines Kritikers besteht nicht darin, seinen persönlichen Geschmack zu verbreiten und persönliche Vorlieben zu formulieren, sondern möglichst objektiv über die Schwächen und Stärken von Filmen zu berichten. Wenn denn persönlicher Geschmack und Vorlieben einfließen, sind diese so weit als möglich von der Kritik zu trennen und als solche kenntlich zu machen. Daher möchte ich klarstellen, was jetzt folgt ist tatsächlich als Ausdruck meines persönlichen Geschmacks und meiner Vorlieben zu betrachten: der Schluss von „Bugonia“ ist saublöd.
 
Ich gebe zu, ich kann überraschende Wendungen mittlerweile einfach nicht mehr sehen. Vor allem, wenn sie so überflüssig und aufgesetzt wirken wie am Ende von „Bugonia“. Aber das ist nicht das blödeste am Schluss dieses Films. Das blödeste am Schluss dieses Films ist, dass damit die hervorragenden Leistungen von Jesse Plemons und vor allem von Emma Stone abgewertet werden. Bis zu einer bestimmten Szene mit einem Schrank, hat Stone eine toughe, kluge Frau gespielt, die sich dank ihrer überlegenen Intelligenz gegen gefährliche Männer durchsetzen konnte. Derlei sehen wir im Kino viel zu selten. Und daher ist der Schluss, der diese Darstellung um 180 Grad in etwas ganz anderes verdreht, einfach nur saublöd.
 
Fazit
 
105 Minuten lang ist „Bugonia“ ein etwas intelligenterer und reiferer Film als „Kinds of Kindness“. Das hervorragende Ensemble muss aber wieder einige inhaltliche Defizite überspielen. Ob die letzten 15 Minuten zum Rest des Films passen oder einfach nur saublöd sind, ist eine Geschmacksfrage.
 
 
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