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Kritik: One Battle After Another

 
sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Kann ein Film ein anspruchsvolles Drama und trotzdem gleichzeitig spannend, zum Schreien komisch und ganz allgemein extrem unterhaltend sein?
 
See my face?
 
Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor) und Bob Ferguson (Leonardo DiCaprio) sind ein Paar und beide auch Angehörige einer revolutionären Truppe, die ICE-Gefängnisse stürmt, Bombenanschläge und Raubüberfälle begeht. (Übrigens, alle Leser*innen, die „Perfidia Beverly Hills“ nicht ebenfalls für einen der coolsten Namen der Filmgeschichte seit Otis B. Driftwood, Sugar Kane Kowalczyk, Santanico Pandemonium und Buckaroo Banzai halten, können an dieser Stelle aufhören zu lesen) Nachdem Perfidia Ihn während eines Überfalls böswillig sexuell gedemütigt hat, verfällt der erzkonservative Offizier Steven J. Lockjaw (Sean Penn in der Rolle mit dem sicher zweitbesten Namen dieses Filmjahres) der afroamerikanischen Kriegerin aus dem Ghetto und die beiden beginnen eine geheime Affaire.
 
Perfidia wird schwanger, bekommt ein Mädchen und ihr Liebhaber und Kamerad Bob hat keinerlei Zweifel an seiner Vaterschaft. Nachdem Perfidia verhaftet wird, taucht Bob mit „seiner“ Tochter unter. 16 Jahre später ist Bob kein Revolutionär mehr, sondern der versoffene, ständig bekiffte und paranoide alleinerziehende Vater einer Teenagerin. Steven J. Lockjaw ist mittlerweile Colonel und bemüht sich um die Aufnahme in einen elitären Verein erzkonservativer Rassisten (den Namen des Clubs will ich hier nicht verraten. Nur so viel: er ist fast noch besser als „ACME“ oder „Very Big Corporation of America“). Dummerweise geht das Gerücht um, der weißer als weiße Colonel hätte vor langer Zeit ein „Mischlingskind“ gezeugt. Also nutzt Lockjaw seine beträchtliche Macht, um die „Beweise“ verschwinden zu lassen …
 
Paul Thomas Anderson ist nicht nur einer der wenigen lebenden Filmemacher*innen, die noch nie einen schlechten Film gedreht haben (die anderen wären Christopher Nolan und Greta Gerwig und wer eine/einen vierten nennen kann, darf gerne an die Redaktion schreiben). Seine Filme zeichnen sich immer durch eine enorme thematische und dramaturgische Dichte aus.
 
 
Bereits Andersons Erstling „Last Exit Reno“ war nicht einfach eine Spielergeschichte, sondern ein modernes Kammerspiel darüber, dass die Gegenwart immer das Ergebnis der eigenen Handlungen in der Vergangenheit bleiben wird. „Boogie Nights“ war nicht einfach ein Film über die Pornobranche, sondern ein intimes Drama über Menschen und Beziehungen im Wandel der Zeit. Und bereits „Magnolia“ war dann ein Meisterwerk über Männer und Frauen, Kinder und Eltern, Liebe, Schmerz, Schuld, Sühne, Verzeihen und ganz allgemein das Leben, das Universum und den ganzen Rest.
 
Nun hat Paul Thomas Anderson wieder einen Film geschrieben und inszeniert, der auf intelligente Art und Weise eine Vielzahl an wichtigen sozialen und psychologischen Themen behandelt und gleichzeitig eine Screwball-Comedy, ein Polit-Drama und mittendrin immer wieder ein wirklich cooler Actionthriller ist. Dieser Film liefert Stoff zum Nachdenken, Anlass für interessante Gespräche und mehr abwechslungsreiches Vergnügen als irgendein anderer in diesem Jahr erschienener Film (Leser*innen, die an dieser Stelle an „das Kanu der alten Fernseh-Komiker“ denken, kann ich nur noch einmal mitteilen, sie können an dieser Stelle aufhören zu lesen).
 
Dieser Film hat keine Minute Leerlauf. Ständig passiert etwas Interessantes. Ständig führt eines sinnvoll zum anderen. Ständig wird das Publikum bedient, aber auch gefordert. Wir müssen auf Zack sein, um mitzubekommen, wer wen wann wo sucht, welche Figur welche andere Figur aus welchen Gründen wo begegnet, welche Information oder welches Gespräch wann in welchem Zusammenhang wieder wichtig wird. Ständig ist etwas zu sehen und zu hören.
 
Zu sehen sind amerikanische Städte und die Weite des Südwestens. Zu sehen sind die komplett unterschiedlichen Lebensräume der verschiedenen Menschen in diesem Land, dessen privilegierte Bürger ihre weniger vom Glück verwöhnten Landsleute kaum noch als Menschen wahrnehmen.
 
Zu sehen ist aber auch unter anderem eine der besten und fesselndsten Autoverfolgungssequenzen der Filmgeschichte. Wie Anderson die Geografie der Landschaft nutzt, um Spannung zu erzeugen ist meisterhaft. Wie eine seiner Figuren ebendiese Geografie der Landschaft nutzt, um sich zur Wehr zu setzen, ist genial.
 
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It’s World War III out there!
 
Zu hören sind unter anderem grandiose Dialoge. Hier erklären einander nicht Filmfiguren die Handlung. Hier sprechen echte Menschen miteinander. Diese Dialoge sind oft berührend, etwa im Gespräch zwischen Vater und Tochter. Manchmal sind sie rasend komisch, etwa wenn einer Figur die „Bedford-Forrest-Medal-of-Honour“ verliehen wird (zur Info: Nathan Bedford Forrest war der Gründer des Ku-Klux-Klans). Und immer sind diese Dialoge intelligent und nachvollziehbar.
 
Apropos, zu hören ist auch einer der coolsten und stimmigsten Soundtracks des Jahres. Dieser bringt dem Film Bonuspunkte ein, für den perfekten Einsatz von Tom Petty’s Klassiker „American Girl“. Paul Thomas Anderson sorgt damit so ganz nebenbei für die Rehabilitierung dieses Songs nach seinem komplett unangemessenen Einsatz in „Book Club II – Die Rückkehr der alten Frauen aus der reichen weißen Oberschicht“.
 
An einigen wenigen Stellen mögen besonders aufmerksame Filmfans erkennen, dass „One Battle After Another“ dem Publikum enorm viel zu bieten hat und sein Macher daher wohl alle Hände voll zu tun hatte. Ist Sean Penns Figur nun bei der Army, bei ICE, bei der Polizei oder bei einer anderen Behörde tätig oder stellt er einfach die Verkörperung einer Idee dar? Und fällt die Konfrontation zwischen Erzeuger und Tochter nicht etwas overwritten und auch überinszeniert aus? Aber bei all dem, was es zu sehen und zu hören gibt, vergisst man solche Fragen schnell wieder.
 
Zu sehen und zu hören gibt es auch einige der besten Leistungen der Karrieren der jeweiligen Darsteller*innen. Selbst die kleinsten Nebenrollen sind hochwertig besetzt. So gibt es ein Wiedersehen mit dem hochbetagten Kevin Tighe, der jahrzehntelang in so unterschiedlichen Filmen wie „Mein Partner mit der kalten Schnauze“, „Gilbert Grape“ oder „Geronimo“ immer in unsympathischen Nebenrollen geglänzt hat. Er vermittelt zusammen mit seinen Kollegen Tony Goldwyn („King Richard“), Sandy Irvine und John Hoogenakker die selbstgefällige und selbstverständliche Ruchlosigkeit der „White Supremacy“-Elite.
 
Benicio del Toro verkörperte zuletzt in “Der phönizische Meisterstreich” eine Karikatur. In „One Battle After Another” beeindruckt er uns als als “Sensei”, der selbst im Wahnsinn noch Sinn findet und selbst im Chaos noch Ruhe bewahren kann. Seine Darstellung ist der emotionale Anker dieses Films. Sängerin Teyana Taylor ist als Perfidia Beverly Hills eine Kriegerin, Stammesfürstin und Naturgewalt. Eine junge Dame namens Chase Infiniti vermittelt in der Rolle der Tochter, dass Kinder oft jeweils das Beste von ihren beiden Elternteilen in sich vereinen.
 
Sean Penn hat im Verlauf seiner bald fünfundvierzigjahrelangen Karriere in einigen grandiosen Filmen hervorragende Leistungen gezeigt. Er hat aber, nicht nur in den letzten Jahren, viel öfter mäßige Leistungen in unterdurchschnittlichen Filmen gezeigt. Sollte er aber für seine Darstellung eines erzkonservativen Fanatikers hier nächstes Jahr nicht mit dem Oscar für die beste Nebenrolle ausgezeichnet werden, wäre das ein noch größerer Skandal als 1996, als man Nicolas Cage für sein Overacting in „Leaving Las Vegas“ ausgezeichnet hat und nicht Sean Penn für „Dead Man Walking“.
 
Penns Darstellung eines Vaters, der keiner sein will und auch keiner sein sollte, ist die Kehrseite der Medaille zur Darstellung von Leonardo DiCaprio, der uns vermittelt, wie man(n) nur durch das was man tut und was man opfert zum Vater wird. Er zeigt hier seine beste Leistung seit „Once Upon A Time ... in Hollywood". Und er war niemals komischer als in der Szene, in der Bob versucht mit seinen alten Mitstreitern Kontakt aufzunehmen, sich aber leider nicht mehr an die dazu nötigen Codes erinnern kann.
 
Fazit
 
Ein anspruchsvolles Drama das trotzdem spannend, zum Schreien komisch und ganz allgemein extrem unterhaltend ist. Kurzum: der beste Film des Jahres. Jetzt bleibt bloß noch abzuwarten, ob die Academy sich noch traut, Paul Thomas Anderson, Sean Penn und Leonardo DiCaprio mit den verdienten Oscars auszuzeichnen.
 
 
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