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Kritik: The Negotiator

 
sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
In einem intelligenten Thriller mit intelligenten Protagonisten kann viel schiefgehen. Oft funktionieren solche Filme nur, weil ihre Protagonisten schlauer sein wollen, als sie tatsächlich sind …
 
I just want to give everything back
 
Ash fungiert als Vermittler zwischen potentiellen Whistleblowern und Unternehmen. Niemand, nicht einmal seine Klienten, bekommen je sein Gesicht zu sehen oder auch nur seine Stimme zu hören. Sarah, Ashs neueste Klientin, will Beweise für eine Vertuschung ihres früheren Arbeitgebers an dieses Unternehmen zurückgeben. Ash übernimmt den Job, organisiert die Verhandlungen und kümmert sich so gut er kann um die ängstliche Sarah. Doch dann geht einiges schief …
 
Eines muss man Regisseur David Mackenzie („Hell or High Water”) und Drehbuchautor Justin Piasecki lassen: sie kennen ihre Vorbilder. In seinen besten Momenten – und davon gibt es zunächst nicht wenige – erinnert „The Negotiator“ an Klassiker wie „Der Dialog“ oder „Die Drei Tage des Condor“. An mehr als einer Stelle während der ersten Hälfte des Films war ich geneigt Vergleiche mit den leider viel zu wenig bekannten Thrillern David Mamets, „The Spanish Prisoner“ und „Heist“ anzustellen.
 
Das liegt vor allem am Drehbuch, das einige wirklich originelle Einfälle erkennen lässt. Einer der wichtigsten Aspekte der Handlung ist die Kommunikation zwischen Ash und seinen Klienten und Verhandlungspartnern über einen sogenannten „Relay Service“. Der Held benutzt diesen für Gehörlose gedachten Service, um mit anderen Teilnehmern telefonieren zu können, ohne diese seine Stimme hören zu lassen oder seine Telefonnummer zu verraten (der tatsächliche Originaltitel des Films lautet auch „Relay“. „The Negotiator“ ist wieder eine dieser überflüssigen Erfindungen des deutschen Verleihs, die nur verdeutlichen, wie wenig Ahnung von Film und wie wenig Respekt vor der Intelligenz des Publikums man dort hat).
 
Die verschiedenen Telefongespräche, bei denen die ahnungslosen Mitarbeiter des „Relay Service“ vorlesen, was Ash in seinen Computer tippt und die Teilnehmer am anderen Ende der Leitung zwar mit Ash „sprechen“, aber niemals seine Stimme zu hören bekommen, tragen auf hervorragende Art und Weise zur verwickelten, paranoiden Stimmung des Films bei. Wir hören die Stimme des Helden tatsächlich erst nach einer halben Stunde zum ersten Mal. Dass er bei dieser Gelegenheit nur eine Verkäuferin in einem Laden begrüßt, wirkt wie eine verpasste Chance. Irgendwie wünscht man sich, Regie und Drehbuch hätten auf diese unergiebige Szene verzichtet und mit dem ersten Wort des Helden auf eine bessere Gelegenheit gewartet.
 
 
Auch die dynamische Regie trägt viel zum zunächst positiven Eindruck des Films bei. Ton und Schnitt arbeiten hervorragend zusammen. Aber es ist vor allem die Kameraarbeit von Giles Nuttgens, die diesen Film extrem hochwertig wirken lässt. Nachdem er für Regisseur David Mackenzie in „Hell or High Water” bereits die Weite des amerikanischen Westens ins rechte Licht gerückt hat, vermittelt der britische Kameramann hier die verwinkelte Enge Manhattans und die graue Ödnis New Jerseys in wirkungsvollen Bildern.
 
Der Film funktioniert aus vielen Gründen geraume Zeit sehr gut, unter anderem auch wegen der hervorragenden Besetzung. Deshalb ist es bitte nicht falsch zu verstehen, wenn ich berichten muss, dass der Film ungefähr ab dem Zeitpunkt aufhört richtig zu funktionieren, wenn wir seinen Helden endlich sprechen hören.
 
This is the only deal
 
An einer Stelle des Films muss die Heldin verschiedene Unterlagen per Post versenden. Der Deckname des Empfängers dieser Postsendungen lautet „Archie Leach“. Filmfans werden diesen Namen vielleicht als der Namen des von John Cleese dargestellten Anwalts in „A Fish Called Wanda“ wiedererkennen. Leser*innen mit fortgeschrittenen Kenntnissen der Filmgeschichte wissen vielleicht sogar, dass das der Geburtsname von Cary Grant war. Ich mag solche kleinen „easter eggs“ in Filmen sonst sehr. In diesem speziellen Film, an dieser Stelle des Films ergibt die Verwendung dieses Namens aber rein gar keinen Sinn und man fragt sich, warum? Im weiteren Verlauf des Films kann man sich diese Frage noch öfter stellen.
 
Warum hat man sich mehr als eine halbe Stunde lang die Mühe gemacht, den Helden und seine Motivation als Geheimnis zu präsentieren (und das wirklich erfolgreich), wenn man dieses Geheimnis überflüssigerweise auf eine der langweiligsten und banalsten Arten und Weisen zerstört, die man sich vorstellen kann? Ash ist trockener Alkoholiker und geht zu Treffen der Anonymen Alkoholiker. Aber nicht etwa, weil das die Geschichte interessanter machen oder den Film sonstwie aufwerten würde, sondern bloß damit er uns a) seine traurige Geschichte erzählen kann und b) dort eine Person kennen kann, die am Ende des Films für einen Deus-ex Machina-Effekt sorgt, der nie funktionieren würde.
 
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Wie manche Protagonisten in Thrillern immer schlauer sein wollen als sie selbst, versucht dieser Film ab der Hälfte immer wieder schlauer zu sein als er ist. Dieser Film legt sich selbst herein, indem er das Geheimnis des Helden zerstört. Hätte man dieses Geheimnis nie gelüftet, hätte der Film davon massiv profitiert. Dieser Film reitet sich selbst noch weiter rein, wenn er dieses Geheimnis auf so unoriginelle und langweilige Art und Weise zerstört. Aber dieser Film legt auch sein Publikum herein.
 
Natürlich meinten die Macher, ihr Film müsste eine überraschende Wendung im letzten Akt haben. Leider lagen sie auch damit völlig falsch. Die überflüssige überraschende Wendung dieses Films funktioniert dann auch hinten und vorne nicht, weil dieser Film während der ersten zwei Drittel seiner Laufzeit nicht fair mit dem Publikum gespielt hat. Ich werde hier nicht darauf eingehen, wie die überflüssige überraschende Wendung aussieht. Aber sie widerspricht dem bis dahin gezeigten Verhalten der Hauptfiguren so eklatant, dass kein aufmerksamer Filmfan bereit sein wird, diese einfach so zu akzeptieren. Dieser Film wollte sein Publikum hereinlegen und hat sich auch damit selbst hereingelegt.
 
Und gerade wenn man meint, der Film würde nach mehrmaligem Stolpern wieder in die Gänge kommen, folgt ein Schluss der einfach nicht funktioniert. Oder sollte ich sagen, „einfach nicht mehr funktioniert“?
 
ACHTUNG! Es folgt nun doch ein SPOILER: Der Held dieses Films muss Konzernen immer wieder mit Enthüllung ihrer verbrecherischen Praktiken drohen. Wenn am Ende Handlanger und Beweise für ebensolche Praktiken an die Behörden übergeben werden, dann kann man im Jahr 2025 einfach nicht mehr ignorieren, wie ebendiese Behörden in der Realität (nicht nur in den USA) längst zu Erfüllungsgehilfen der Konzerne geworden sind. Wie viele Fälle verbrecherischer Konzern-Praktiken wurden denn im Lauf der letzten Jahre publik gemacht? Und wie viele dieser Fälle hätten auch nur die geringsten negativen Konsequenzen für die Unternehmen oder ihre CEOs nach sich gezogen?
 
Es ist schwer zu sagen, ob dieser Film es sich hier zu leicht gemacht hat oder einfach zu spät dran ist. Aber im Jahr 2025 funktioniert dieses Ende einfach nicht mehr. Verschlimmert wird das nicht funktionierende Ende noch, wenn einer der Handlanger des verbrecherischen Konzerns den Helden zuvor auf genau dieses Problem aufmerksam gemacht hat. Man kann doch nicht im Dialog eines Films auf einen Fehler im Plan des Helden aufmerksam machen, um diesen dann am Ende zu ignorieren.
 
Wenn dieser Film vor allem im letzten Drittel über Fallen stolpert, die er sich selbst gestellt hat, ist das ein Jammer. Vor allem wegen der teilweise wirklich hervorragenden Leistungen der Darsteller*innen. Ein unbekannter Schauspieler namens Matthew Maher stimmt uns mit einer einzigen frühen Szene auf die emotionalen Fallstricke der Handlung ein. Der stets verlässliche Victor Garber vermittelt in derselben Szene die selbstverständliche Ruchlosigkeit, die wir von CEOs vieler großer Konzerne mittlerweile weltweit gewohnt sind. Eine junge Dame namens Willa Fitzgerald verkörpert genauso ein Geheimnis, wie es auch die Hauptfigur besser geblieben wäre.
 
Die meisten Filmfans werden Sam Worthington ohne blaue Haut, gelbe Augen und USB-Zopf gar nicht mehr wiedererkennen. Der Star aus zwei vergangenen und jeder Menge kommenden „Avatar“-Filmen zeigt hier eine kraftvolle, aber leider wenig subtile Darstellung. Lily James spielt während der ersten zwei Drittel des Films wirklich überzeugend. Ihre Leistung leidet am meisten unter der überflüssigen überraschenden Wendung im dritten Akt.
 
Der Star des Film ist aber Riz Ahmed. Seit seinen immer interessanten, sehenswerten Nebenrollen in so unterschiedlichen Filmen wie „Nightcrawler“, „Rogue One: A Star Wars Story“ oder „The Sisters Brothers“ hat sich dieser Darsteller beständig weiterentwickelt. In „The Negotiator“ zeigt er, dass er längst das Zeug zum „leading man“ hat, wenn er einen schwierigen Charakter absolut nachvollziehbar und glaubwürdig darstellt und weite Teile dieses schwierigen Films allein auf seinen schmalen Schultern trägt. Wenn der Film trotz seiner Fehler und Defizite trotzdem gerade noch sehenswert ausfällt, dann hauptsächlich seinetwegen.
 
Fazit
 
Ein Film der schlauer sein möchte als er tatsächlich ist und sich mehr als einmal selbst hereinlegt. Als Negativbeispiel, wie eine überraschende Wendung NICHT funktioniert, aber auch wegen der großartigen Leistung von Riz Ahmed trotzdem halbwegs sehenswert.
 
 
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