Corona! Corona!
Aber ist Corona wirklich für alle furchtbar? Die deutsche Filmindustrie plagt sich seit Jahrzehnten mit der übermächtigen Konkurrenz aus dem englischsprachigen Raum herum. Aber zurzeit laufen kaum Filme aus den USA oder Großbritannien an. Neulich lief bei uns „Guns Akimbo“, der in den USA bereits im Winter gelaufen war und dabei kaum Geld eingespielt hatte. Ein paar Wochen später kam dann „Edison – Ein Leben voller Licht“. Dieser Film hätte 2017 von der Weinstein Company herausgebracht werden sollen als deren Inhaber plötzlich und unerwartet (und viel zu spät) Ärger mit den Behörden bekam. 2019 kam dieser Film dann praktisch überall außer in Deutschland in die Kinos nur um in all diesen Ländern vom Publikum weitgehend ignoriert zu werden. Das ist schon fast alles, was wir zurzeit an internationalen Produktionen zu sehen bekommen.
Die deutschen Filmfirmen könnten diese Krise doch durchaus als Chance begreifen. Ohne nennenswerte angelsächsische Konkurrenz könnte man endlich mal Mut zeigen. Aber welche deutschen Filme laufen aktuell im Kino? „Nightlife“, ein typischer Elyas M’Barek-Film, in dem Elyas M’Barek eine typische Elyas M’Barek-Rolle spielt wie nur Elyas M’Barek sie spielen kann und der bereits vor Corona angelaufen ist. Und „Die Känguru-Chroniken“, ein Film, den wir ohne Corona alle längst vergessen hätten. Und das wäre auch besser so gewesen.
Aber „Nightlife“ und die „Die Känguru-Chroniken“ sind keine Filme im herkömmlichen Sinne des Wortes. Das sind Produkte. Diese Filme haben mehr mit Marketing zu tun als mit Filmkunst. Filme wie diese sind eher vom Lebenswerk eines Henry Ford oder Frank Woolworth inspiriert als von dem eines Orson Welles oder Sergei Eisenstein. Und so komme ich über Corona und die Großen des Marketing und des Kinos auch schon zu „Rapunzels Fluch“. Ist das ein guter Film? Verglichen womit? Vergleiche mit „Citizen Kane“ oder „Panzerkreuzer Potemkin“ sind müßig. Und verglichen mit William Friedkins „Der Exorzist“ muss ich den großen Philosophen Jules Winnfield zitieren: „It ain’t the same fuckin‘ ballpark. It ain’t the same league. It ain’t even the same fuckin‘ sport.“
Aber das wären ohnehin alles Vergleiche zwischen Äpfeln und Glühbirnen. Ein naheliegender Vergleich wäre der mit den Produktionen aus dem „Blumhouse“. Diese noch recht junge amerikanische Firma produziert alle paar Jahre einen anspruchsvollen Film wie „Get Out“ aber mehrmals im Jahr Filme wie „Wahrheit oder Pflicht“ oder „Unknown User: Dark Web“. Wie schneidet die strohdumme deutsche Gruselgeschichte rund um strohdumme deutsche Millienials im Vergleich mit den strohdummen amerikanischen Gruselgeschichten rund um strohdumme amerikanische Millenials ab? Gar nicht schlecht. Wirklich gar nicht schlecht.
Alina! Alina!
Der wichtigste Unterschied zwischen den Produktionen aus dem House of Blum und „Rapunzels Fluch“ liegt in der Altersfreigabe. Die im doppelten Sinne des Wortes „blutleeren“ Filme aus Übersee werden ja seit geraumer Zeit immer krampfhaft auf die US-Freigabe „PG-13“ hingedreht. Denn auch Blumhouse stellt eher „Produkte“ her, als dass man dort echte „Filme“ machen würde. „Rapunzels Fluch“ ist ein echter Film, den echte Filmemacher gemacht haben. Und wenn echte Filmemacher wie Regisseur David Brückner und Drehbuchautor Mario von Czapiewski einen Horrorfilm machen, dann machen sie einen Horrorfilm. Und „Horror“ wird bei den beiden mit einem großen „H“ geschrieben. Mit einem großen blutigen „H“. Und so hat ihr Film von den freundlichen älteren Herrschaften von der FSK die Freigabe „FSK 18“ bekommen. Und man möchte sagen, diese ist hochverdient. In einer Welt von auf Jugendschutz getrimmten Pseudo-Gruselfilmen ist ein echter Horrorfilm mit der Freigabe „FSK 18“ etwas Besonderes geworden. Und ein deutscher Horrorfilm mit der Freigabe „FSK 18“ ist etwas ganz Besonderes.
Und wenn man dann noch bedenkt, dass diese beiden jungen Filmemacher ihr Werk mit einem Budget gedreht haben, dass vermutlich nicht ganz der Summe entspricht die bei der Produktion von „Nightlife“ für die Haarpflege von Elyas M’Barek aufgewandt wurde, dann ist das schon etwas ganz besonders Besonderes. Natürlich ist die Geschichte hanebüchen. Natürlich sehen wir in diesem Film denen einen oder anderen Darsteller, der hoffentlich auch etwas Vernünftiges gelernt hat. Und natürlich sieht man dem Film sein lächerlich winziges Budget an. Aber all das lässt sich auch über „Piranha 2 – Fliegende Killer“ sagen. Und trotzdem ist dieser Film von 1981 unterhaltsam. Und sein Regisseur hat danach noch recht erfolgreiche Filme über Killerroboter mit unmöglichem Akzent, undichte Ozeanriesen und blaue Aliens gedreht. Wer endlich wieder einen echten Horrorfilm sehen will, darf sich eine Karte für „Rapunzels Fluch“ kaufen.