2012 verfilmte Tom Hooper mit „Les Misérables“ eines der beiden erfolgreichsten Musicals der letzten Jahrzehnte. Nun hat er auch noch das andere verfilmt …
Mondlicht, schau hinauf in das Mondlicht
London irgendwann in der Vergangenheit: während die Menschen schlafen, tanzt und singt eine Gruppe von Katzen, die sich selbst die „Jellicles“ nennen, durch die Straßen. Am Ende der Nacht soll bestimmt werden, welche Katze in den „sphärischen Raum“ aufsteigen darf um dort ein neues Leben zu bekommen …
Der Trailer zu Todd Pillips „Joker“ war einer der Besten, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Schnell war man sich weltweit einig, hier würde ein neues Meisterwerk angekündigt. Im Oktober kam der Film dann in die Kinos. Und nur wenige Kritiker haben sachlich darüber geschrieben, wie durchwachsen das Endergebnis war.
Nachdem im Sommer dieses Jahres der erste Trailer zu „Cats“ auf youtube veröffentlicht wurde, erhielt er innerhalb kürzester Zeit mehr „dislikes“ als „likes“. Und weil wir in einer Gesellschaft leben, in der man sich seine Meinung auch gerne mal ohne solide Grundlage bildet, dann aber fest bei seinem Urteil bleibt, möchte ich vor einem vorschnellen Urteil warnen.
Hauptkritikpunkt des Trailers war der Look der „Jellicles“. Und diese Kritik war nicht unberechtigt. Jedermann, der auch nur eine Ahnung von Film hat, hätte aber bemerken müssen, dass die Bilder im Trailer noch nicht fertig bearbeitet waren. Das Aussehen der Katzen in Hoopers Film wird durch eine Mischung von Kostüm, Maske und Computertechnik erschaffen. Und die Postproduction des Films war zum Zeitpunkt als der Trailer veröffentlicht wurde einfach noch nicht abgeschlossen. War es eine schlechte Entscheidung, den Trailer so zu veröffentlichen? Nachträglich betrachtet, natürlich.
Der Look der Katzen im fertigen Film mag vielleicht nicht nach jedermanns Geschmack sein. Natürlich hätte man die Katzen komplett mit CGI erschaffen können. Man hätte aus dem Musical auch einen reinen Animationsfilm machen können. Man hätte vielleicht sogar echte Katzen filmen und ihre Lippenbewegungen im Computer nachbearbeiten können. Möglich wäre alles Mögliche gewesen. Aber Hooper hat sich für diese Methode entschieden. Und diese Entscheidung ergibt Sinn, verbindet sie doch den Stil der Bühnenversionen mit dem aktuellen Stand der Filmtechnik.
Das visuelle Konzept des Films geht nicht immer völlig auf. Viele Hintergründe sehen wirklich bloß wie Bühnendekorationen aus. Manche Objekte haben die falschen Proportionen im Verhältnis zu den Katzen. Die Abmessungen der Löwen am Trafalgar Square passen gar nicht. Andere Bilder sind wieder extrem realistisch ausgefallen. Auch der Look der Katzen wirkt nicht immer einheitlich. Warum tragen manche Katzen Kleidung und andere nicht? Was halten Katzen die Hosen tragen eigentlich von Artgenossen, die ganz ohne herumtanzen? Warum haben drei der Katzen Schuhe an? Klar, eine der Katzen muss stepptanzen, das funktioniert auf Samtpfoten nicht. Aber was ist mit den anderen beiden?
Den Look des Filmes kann man mögen oder nicht. Dem der Bühnenversionen aus den 80er-Jahren ist er aber definitiv überlegen. Das ist aber zweitrangig, wenn wir die Musik von Andrew Lloyd Webber in einer Qualität hören, wie wir sie auf der Bühne nie zu hören bekamen. Die Musikaufnahmen sind hervorragend produziert. Jennifer Hudson meinte in einem Interview der Gesang wäre immer live aufgenommen worden. Ja, sicher. Und Vin Diesel macht alle seine Stunts selbst. Wie auch immer, die Fans der Musik erleben hier ein kleines Wunder.
Ausgebrannte Wirklichkeit, von kaltem Rauch umgeben
Ein paar Worte zur deutschen Fassung: Wozu soll die gut sein? Wer hat denn danach gefragt? Regisseur Hooper hat doch ganz bewusst einen großen Teil der Hauptrollen mit Künstlern besetzt, die eben keine Musicalsänger sind. Dabei wird er sich etwas gedacht haben. Und das war sicher nicht: „Hoffentlich klingen die interessanten, ganz unterschiedlichen Stimmen dieser Darsteller im deutschsprachigen Raum alle wie die typischer Musicalsänger.“
In der deutschen Version wird leider noch eine weitere Schwäche des Materials offensichtlich. Die Songtexte klingen teilweise furchtbar dumm. So ist es leider. Natürlich war es damals ehrgeizig vom späteren Baron Lloyd Webber, die Gedichte von T. S. Eliot in Liedtexte zu übertragen. Und Michael Kunze hatte damals sicher auch keinen einfachen Job, als er diese Texte dann noch ins Deutsche übertragen musste. Aber das ändert nichts daran, dass das die Texte auf Deutsch noch übler klingen und teilweise noch sinnloser sind als auf Englisch.
Als ich jung war, meinte auch einmal eine Dame zu mir: „Komm berühr mich und Du verstehst, was Glück wirklich ist“. Ich bin damals aber schnell weitergegangen, weil ich nicht genug Geld dabei hatte. Und warum fährt der Zug ohne Skimble nicht ab? Der Zug wartet tatsächlich auf eine Katze? Wieso kommt Skimble dann nicht pünktlich, wenn er doch weiß „dass ohne ihn nichts geht“? Mister Mistoffelees „kriecht durch den winzigsten Spalt, kann auf schmalstem Geländer noch gehen“. Aber wieso macht ihn das zu einem Zauberer? Kann das nicht jede Katze? Und seit wann ist „ins Nichts zu verschwinden“ ein „Sport“?
Die Sänger der deutschen Version sind nicht schlecht. Aber selbst die beste Sänger der Welt könnten in einer anderen Sprache niemals auch nur halbwegs lippensynchron singen. Zusammen mit den verkrampften Reimen der deutschen Texte („Jetzt hat dieser Kater, wer kann ja der kann, acht Kätzchen gezaubert, ins Haus nebenan“) führt das dazu, dass die wirklich hervorragende Musik einfach nicht so wirken kann wie in der englischen Originalversion.
Nicht nur die Liedtexte, die ganze Handlung ergibt keinen Sinn. Warum entführt und verzaubert Bösewicht Macavity sämtliche Konkurrenten um selbst in „den sphärischen Raum“ reisen zu können? Er hat doch bereits ein tolles Leben als Verbrecher und Zauberer zusammen mit seiner Drogendealer-Partnerin die wie eine feline Version von Taylor Swift aussieht. Und was ist dieser „sphärische Raum“ überhaupt und wieso bekommt man dort ein neues Leben?
Hoffnung, in mir lebt noch die Hoffnung
Aber Fragen wie diese betrafen alle bereits die Vorlage. Wieso sollte der Film Antworten geben, die das Musical schuldig geblieben ist? Hoopers Filmversion stellt jede Bühnenversion in den Schatten, das muss reichen. Die Qualität der Musiknummern ist, wie bereits erwähnt, großartig. Die Sänger leisten erstaunliches, die Musiker arbeiten hervorragend. Die Tanzszenen sind im wahrsten Sinne des Wortes fantastisch gestaltet.
Der große Star des Films ist die junge Francesca Hayward in ihrer ersten Filmrolle. Hayward ist die Primaballerina des Royal Ballet an der Covent Garden Opera in London. Für ihre Mitwirkung an dem Film wurde sie nur beurlaubt. Sie bewegt sich graziler als jede echte Katze und singt mit der Stimme eines Engels.
Ihr zur Seite steht der unbekannte britische Schauspieler Laurie Davidson als Mister Mistoffelees. Er wirkt tatsächlich ganz bezaubernd in seiner Rolle als unsicherer, verliebter Magier.
Judy Dench verlässt für ihre Rolle als Old Deuteronomy nie ihre Wohlfühlzone. Und auch Ian McKellen sieht man an, wie wenig ihn der Part des Theaterkaters fordert. Beide lassen ihre souveräne Bühnenpräsenz wirken.
Jennifer Hudson wirkt als Grizabella fast ein wenig fehlbesetzt. Sie ist zu jung und vermittelt zu viel Power für den Part der bemitleidenswerten Grizabella.
Rebel Wilson spielt als Jennyanydots die gleiche Rolle wie in fast jedem ihrer Filme, nur eben diesmal im Katzenkostüm. Darum muss sie auch erst einen Kastrationsscherz machen und diesen dann noch mit einer entsprechenden Geste unterstreichen. Und Idris Elba muss als Macavity aus irgendeinem Grund merkwürdige Kontaktlinsen tragen, was seine Rolle aber auch nicht sinnvoller erscheinen lässt.
Fazit
„Cats“ ist eine hochwertig produzierte Verfilmung des Erfolgsmusicals. Kleine Schwächen der Ausstattung und größere Schwächen der Vorlage werden von den teilweise hervorragenden Darsteller gekonnt überspielt, übersungen und übertanzt.