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Kritik: Daddio: Eine Nacht in New York

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Eine junge Drehbuchautorin und Regisseurin hat in ihrem ersten eigenen Spielfilm einige mutige Entscheidungen getroffen ...
 
44th and 9th
 
Eine junge Frau landet spätabends am Flughafen JFK. Sie nimmt ein Taxi zu ihrer Wohnung in New York City. Sie ist müde und der verheiratete Mann, mit dem sie eine Affäre hat, schreibt ihr ständig Nachrichten. Doch der sympathische Taxifahrer verwickelt sie in ein Gespräch. Im Laufe der Fahrt, und des Films wird das Gespräch zwischen der jungen Frau und dem Taxifahrer immer persönlicher ...
 
Ich hätte „Daddio“, dem Debütfilm von Christy Hall, nicht positiver gestimmt begegnen können. Zum einen hat Hall am Drehbuch der einzigen wirklich originellen Fernsehserie der letzten Jahre mitgeschrieben (ich kann allen unsere Leser*innen nur dringend raten, sich so bald als möglich „I Am Not Okay With This“ anzusehen). Zum anderen liebe ich es ungewöhnliche, mutige Filme von noch nicht etablierten Filmemacher*innen zu sehen. „Daddio“ hatte mich auf seiner Seite, bevor das Licht im Saal ausging. Aber wie meinte bereits Hildegard Knef?
 
 
„Von nun an ging’s bergab“
 
Bereits in der ersten Szene sehen wir die junge Frau am Flughafen JFK auf die Schlange von Taxis zugehen. Außer ihr scheint am JFK niemand ein Taxi zu brauchen. Mhm, ... der John F. Kennedy Airport gehört zu den größten Flughäfen der Welt. Vermutlich ist dort seit Jahrzehnten kein einziger ankommender Passagier alleine an den Taxistand gekommen. Aber Christy Hall will uns vielleicht bloß sehr früh auf subtile Weise die Einsamkeit der jungen Frau vermitteln. Und Statisten kosten Geld und verkomplizieren die Dreharbeiten nur, was bei einem Debütfilm beides zu berücksichtigen ist. Also lassen wir es gut sein.
 
Die Taxis in der Warteschlange sind alle Ford Crown Victorias. Ich schreibe jetzt ebenso als Film- wie als Autofreak. Der Ford Crown Victoria ist sicher eines der wichtigsten Fahrzeugmodelle in der Geschichte des amerikanischen Films. Nicht nur waren während der letzten drei Jahrzehnte gut 90% aller Streifenwagen in amerikanischen Filmen und in der Realität Crown Vics. Auch unter den New Yorker Taxis war der Anteil dieses Fahrzeugmodells lange Zeit sicher mindestens ebenso hoch. Aber das hat sich geändert.
 
Die Stadtverwaltung von Ney York City zwingt die Taxiunternehmen bereits seit den frühen Zweitausendern auf Hybridfahrzeuge umzurüsten. Aktuell sollen sogar vollelektrische Minivans benutzt werden. 2023 waren in New York City noch genau zwei Taxis des Modells Ford Crown Victoria im Einsatz. Zwei. In der ersten Szene von Christy Halls Film sehen wir aber ein halbes Dutzend Fahrzeuge dieses Typs und keines anderen am Flughafen auf Fahrgäste warten. Das wäre so, als würde man an einem Deutschen Flughafen ankommen und die wartenden Taxis wären alle Mercedes Benz Modelle der Baureihe 123.
 
Ja, der Crown Vic sieht ungefähr hundertmal besser, cooler und „filmisch“ interessanter aus als jedes moderne Hybridfahrzeug. Und das faltige Gesicht von Sean Penn passt einfach besser zu diesem alten Straßenkreuzer als zu einem vollelektrischen Minivan. Gar keine Frage. Aber wenn in der allerersten Szene eines ernsthaften Dramas die Realität nur des filmischen Looks wegen so verbogen wird, ist das kein gutes Zeichen.
 
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Gar kein gutes Zeichen. Und dieses Zeichen wird im weiteren Verlauf des Films bestätigt. Trotz der hervorragenden Darstellungen, trotz einiger interessanter Ideen des Drehbuchs, kommt nie die richtige Stimmung auf. Wir nehmen nie richtig Anteil an den Geschichten der beiden Protagonisten. Und zwar weil uns Drehbuchautorin und Regisseurin Christy Hall in keiner Sekunde des Films vergessen lässt, dass wir gerade einen Film sehen. Wir sind nicht dabei, wie zwei einsame Menschen einander kennenlernen. Nein, wir sehen zwei sehr gute Schauspieler*innen bei der Arbeit. Wir erleben keine Geschichte. Stattdessen entwickelt sich vor uns ein Plot. Wir erleben nichts mit. Wir beobachten bloß die Mechanismen eines Spielfilms.
 
Das Drehbuch lässt durchaus Ideen erkennen. Aber die Dialoge, so interessant sie auch erscheinen mögen, klingen kaum jemals wie ein echtes Gespräch. Wenn der ältere Fahrer die junge Frau im Fond seines Taxis gleich nach Fahrtantritt auf ihr „little outfit“ anspricht und meint, „you can handle yourself“, dann müsste diese verunsichert reagieren. Aber statt sich unwohl zu fühlen, lächelt die junge Frau und spricht mit dem Fahrer recht schnell über intime Details ihres Lebens. Und natürlich reagiert sie so und nicht anders. Aber nicht, weil das eine sinnvolle Entwicklung der Handlung wäre, sondern weil ihre Darstellerin das Drehbuch gelesen hat.
 
Im Laufe des Films erfahren wir jede Menge intime Details über die beiden Protagonist*innen, weil die Drehbuchautorin diese beiden Figuren einander eben jede Menge intime Details übereinander erzählen lässt. Aber wir lernen weder die junge Frau noch den Taxifahrer jemals wirklich kennen. Die Einzelteile bilden nie ein Ganzes. Die vielen Details passen teilweise nicht richtig zusammen und ergeben nur wenig Sinn.
 
Die junge Frau ist, von beiden Eltern im Stich gelassen, bei einer älteren Halbschwester in einem Wohnwagen in Oklahoma aufgewachsen. Aber nun arbeitet sie als Programmiererin, hat einen teuren Rimowa-Koffer dabei und kann sehr gute Trinkgelder geben. Und das alles in den USA, wo die Qualität der (Aus-)Bildung in direktem Verhältnis zu den finanziellen und sozialen Verhältnissen steht, in denen man aufwächst. Wer ist diese junge Frau? Und wie hat sie es aus dem Wohnwagen in Oklahoma in ein teures Apartment in New York City geschafft? Wir erfahren es nie.
 
Und der Taxifahrer erwähnt, seit zwanzig Jahren Taxi zu fahren und seine erste Frau beim Taxifahren kennengelernt zu haben. Aber Sean Penn ist mittlerweile 64 Jahre alt. Gut, tun wir so, als würde er eine Figur darstellen, die ein Jahrzehnt jünger ist. Das ist vor allen bei männlichen Hollywood-Stars ohnehin so üblich. Also hat er mit Mitte Dreißig angefangen, Taxi zu fahren? Was hat er davor gemacht? Wie ist er beim Taxifahren gelandet? Fast alles was er uns über sich erzählt, hat nur mit dem Taxifahren zu tun. Und das sind vor allem Klischees.
 
Keep breathing (Spoiler)
 
Diese Klischees werden von Sean Penn stimmig vorgetragen. Und alles, was Penns Figur von sich gibt, wird von der bezaubernden Dakota Johnson noch besser pariert. Oder zumindest wirkt es so. Aber tauschen sich die beiden Figuren wirklich aus? Oder reden sie nicht oft aneinander vorbei? Am Ende des Films sind weder die beiden Figuren, noch das Publikum irgendwie weiter gekommen oder schlauer geworden. Hier tauschen zwei Schauspieler*innen passable Dialogzeilen aus. Und das machen sie beide sehr gut. Aber mehr auch nicht.
 
Dabei kann man leicht übersehen, wie problematisch vor allem die Figur der jungen Frau tatsächlich kreiert wurde. Wir alle kennen diese Frauenfiguren aus romantischen Komödien: hochintelligente, humorvolle, attraktive Frauen, die früher aussahen wie die junge Sandra Bullock, später wie Katherine Heigl oder Rachel McAdams und in den letzten Jahren wie Lucy Hale oder Lily James, die nie „den Richtigen“ treffen und ihre Tage entweder daheim mit ihrer Katze vor dem Fernseher verbringen müssen oder mit einem kompletten Armleuchter liiert sind.
 
Solche Frauenfiguren gehen einem in Rom-Coms schon auf die Nerven. In einem ernstgemeinten Drama ist eine hochintelligente, humorvolle, attraktive Frau, die mit einem verheirateten Mann „sexten“ und auf seine Penisbilder mit bereits auf Vorrat aufgenommen Nacktbildern von sich antworten muss, einfach nur extrem ärgerlich. Die herbeigeredeten „Daddy-Issues“ der Heldin sind ein solches Klischee, man fragt sich, warum sie statt Programmiererin nicht Stripperin geworden ist.
 
Die beiden Stars machen das Beste aus dem Durcheinander des Drehbuchs und der etwas hochgestochenen Inszenierung. Sean Penn wirkt hier nach Fehlschlägen wie „Ganster Squad“ und „The Gunman“ wie ein echter Mensch. Er zeigt seine beste Leistung seit langem. Wenn er sich mit Dakota Johnson durch die Trennscheibe des Taxis unterhält, erinnert das in einzelnen Momenten nicht von ungefähr an seine lange zurückliegende Meisterleistung in „Dead Man Walking“.
 
Dakota Johnson hat unter anderem in dem leider recht unbekannten Film „Die Frau im Dunkeln“ gezeigt, was sie als dramatische Schauspielerin drauf hat. Aber leider kennen die meisten Filmfans sie nur aus diesen strohdummen Filmen, in denen sie sich von einem Multimillionär den Popo versohlen lässt. „Madame Web“ hat ihrer Karriere sicher auch nicht geholfen. Selbst wenn sie hier eine reifere Leistung zeigt, als es das Drehbuch zulässt und sehr viel sympathischer wirkt als in irgendeinem ihrer früheren Filme, muss sie in Zukunft bei der Auswahl ihrer Projekte dringend noch deutlich vorsichtiger und gründlicher vorgehen.
 
Fazit
 
Debüt-Filmemacherin Christy Hall hat einige mutige Entscheidungen getroffen. Aber ihr Drehbuch hätte dringend überarbeitet werden müssen und ihre Regie gerät leider zuweilen zu prätentiös und zu künstlich. Die beiden Stars des Films schaffen es nur beinahe, den Film doch noch zu retten.
 
 
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