Nicht nur ihre ständig erklärenden Dialoge nehmen dem Film viel von seiner Wirkung. Man fragt sich, welchen Film das Autorenteam hier überhaupt schreiben wollte? Ist es ein anspruchsvolles Drama über die Entwicklung einer Vororthausfrau zur Kämpferin? Dann sind Szenen wie jene, in der Joy vor Freude in die Hände klatscht, weil sie etwas ebenso Anspruchsvolles wie Gefährliches tun darf, komplett daneben. Wenn Joy ziemlich spät im Film weint, wirkt es als würde sie um sich selbst weinen. Diese und andere Fehler sorgen dafür, dass wir uns mit dieser Heldin nie richtig identifizieren können.
Oder sollte „Call Jane“ ein politischer Film sein, der uns vermitteln wollte, wie furchtbar die Situation noch vor nur wenigen Jahrzehnten in den USA war (und gerade wieder wird) und welche Risiken die mutigen Frauen, die „Janes“, in dieser Zeit auf sich genommen haben? Dann hätte man den interessantesten Teil der Geschichte doch niemals in wenigen Szenen zusammenfassen dürfen. Gegen Ende des Films werden in zwei Minuten kurz folgende Punkte besprochen:
- Die Frauen der Hilfsorganisation lernen selbst Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, um von korrupten, männlichen Ärzten unabhängig zu werden
- Eine Razzia mit Verhaftungen
- Ein langwieriger Gerichtsprozess
- Die Wandlung eines biederen, bürgerlichen Anwalts zum Kämpfer für Frauenrechte
- Die politischen Veränderungen, die endlich legale Schwangerschaftsabbrüche möglich machten
Nichts davon wird tatsächlich gezeigt. Rein gar nichts. All diese Entwicklungen, einige der interessantesten Teile der ganzen Geschichte werden nur kurz im Dialog erwähnt. Nie wird vermittelt, wie diese mutigen Frauen ständig Angst vor Verhaftung und langjährigen Gefängnisstrafen haben mussten, nur weil sie anderen Frauen halfen. Die Organisation der Frauen rund um Joy und die von Sigourney Weaver dargestellte Virginia scheint kaum größere Sorgen zu haben als jeder andere gemeinnützige Verein.
Die Regie von Phyllis Nagy hat dem unentschlossenen, dialoglastigen Drehbuch nicht viel entgegenzusetzen. Nagy hat bisher das Drehbuch zu „Carol“ auf der Grundlage von Patricia Highsmiths Roman verfasst. Als Regisseurin hat sie für Theater und Fernsehen gearbeitet. Mit „Call Jane“ hat sie ihren ersten Spielfilm inszeniert. Kaum jemals vermittelt sie die ständige Bedrohung unter der ihre Heldinnen agieren.
Nagys Bilder sind oft zu schön, zu gefällig. Ein Regenguss kommt zu plötzlich und zu passend. Keine der Frauen ist wirklich gekleidet oder trägt die Haare wie es zu der Zeit üblich war. Die Räume sind alle viel zu fotogen. Die Autos sind alle viel zu gut in Schuss. Selbst die Lacke eines Taxis oder des alten Autos einer schwarzen Feministin sind auf Hochglanz poliert.
Originelle Ideen lässt Nagy nur beim Soundtrack erkennen. Sie vermeidet die bereits allzu oft gespielten, naheliegenden Hits der späten Sechzigerjahre. Ihre Auswahl der Songs erinnert an Quentin Tarantino, wenn er sehr viel weniger chauvinistisch wäre. Die Doppeldeutigkeit von Malvina Reynolds „What’s Going On Down There?“ lässt sogar Sinn für Humor erkennen, der dem Rest des Films fast völlig fehlt. Der größte Teil des Films besteht aus klischeehaften Dialogen und immer wieder zu schönen Bildern, die nicht recht zum Thema passen.
What's Goin' On Down There?
In diesen schönen Bildern haben die Darsteller ihre Dialoge abzuliefern. Chris Messina hat den verwirrten, unwissenden Ehemann zu geben. Dazu darf er erklären, dass er nicht schon wieder Fertiggerichte zum Abendessen mag. Viel mehr erfahren wir von und über diese Figur nicht.
Kate Mara ist natürlich zu jung für die Rolle der Witwe aus dem Nebenhaus. Sie darf uns erzählen, dass sie verwitwet ist und Nixon gewählt hat. Die Nebenhandlung rund um sie und den vernachlässigten Ehemann ist ebenso vorhersehbar wie unergiebig.
John Magaro („The Big Short“) hat eine Szene als Polizeibeamter. Darin sieht er aus, wie Al Pacino in „Serpico“, fährt aber im Streifenwagen vor. Dieser Auftritt ergibt keinen Sinn und ist ein bloßes Handlungselement. Eine junge Darstellerin namens Grace Edwards spielt die Tochter der Heldin und ist mindestens fünf Jahre zu alt für diese Rolle.
Wenn „Call Jane“ in Teilen funktioniert, dann wegen der beiden Hauptdarstellerinnen. Elizabeth Banks hat in einer frühen Nebenrolle in „The 40 Year Old Virgin“ einen ersten bleibenden Eindruck hinterlassen und sich seither zu einer vielseitigen Darstellerin entwickelt. Leider gibt ihr das ungeschickte Drehbuch keine Gelegenheit die Entwicklung ihrer Figur zu spielen. Banks bleibt nichts anderes übrig, als von Szene zu Szene zu spielen und so können wir uns nie richtig mit ihrer Figur identifizieren.
Sigourney Weaver war bereits eine hervorragende Charakterdarstellerin, bevor sie vor einigen Jahrzehnten mit „Aliens“ die erste weibliche Action-Heldin wurde. Seither ist sie eine Legende, hat aber seit vielen Jahren keine Rolle gespielt, die ihrer würdig gewesen wäre. Wir haben sie in letzter Zeit vor allem in Nebenrollen in Filmen wie „Sieben Minuten nach Mitternacht“ oder Cameos wie in „Paul – Ein Alien auf der Flucht“ gesehen. In „Call Jane“ quält sie sich durch ihre lächerlichen Dialoge, um in einer einzigen, herrlichen Szene einen jungen Mann in seine Schranken zu weisen und den jungen Darsteller an die Wand zu spielen.