Time After Time
Afflecks „Argo“ war eine amerikanische Erfolgsgeschichte, die 2012 ins Kino kam, als Amerika dringend wieder eine Erfolgsgeschichte brauchte. US-Truppen hatten sich 2011 aus dem Irak zurückgezogen, nachdem man dort fast ein Jahrzehnt lang zwar keine Massenvernichtungswaffen gefunden, aber dafür die Bevölkerung radikalisiert und für eine noch breitere Kluft zwischen Schiiten und Sunniten gesorgt hatte. Der Krieg in Afghanistan dauert damals auch bereits gute zehn Jahre und sollte viel später auch kein gutes Ende nehmen. Vor allem nicht für die Bevölkerung von Afghanistan.
Man kann also verstehen, warum „Argo“, die Geschichte einer Finte gegen den Iran, 2012 einen Nerv vor allem bei den amerikanischen Kritikern und beim amerikanischen Publikum getroffen hat. Der Oscar für den besten Film 2013 war einer der am wenigsten verdienten Oscars aller Zeiten. In dem Jahr waren Filme wie Hanekes „Liebe“ und Tom Hoopers „Les Misérables“ nominiert. Paul Thomas Andersons „The Master“ war nicht einmal nominiert. Selbst der Bond-Film „Skyfall“ hätte sowohl Nominierung als auch Oscar in dem Jahr eher verdient.
Nun vielleicht wäre es zynisch, Ben Affleck und dem Studio Kalkül zu unterstellen. Aber „Air – Der große Wurf“ erzählt eine der größten Erfolgsgeschichten der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Und wäre es zynisch, die Situation der amerikanischen Wirtschaft 2023 mit der Lage im Nahen Osten im Jahr 2012 zu vergleichen. Immerhin gibt es für die Lage im Nahen Osten immer noch Hoffnung.
„Air – Der große Wurf“ erzählt noch einmal die Geschichte vom amerikanischen Traum. Die ewige Story vom Underdog, der die Ärmel hochkrempelt, sich einen Dreck um Regeln und Konventionen schert und damit Erfolg hat. Die Hauptfigur im Film übergeht eigenmächtig Bosse und Manager und setzt sein und das Schicksal der ganzen Firma aufs Spiel. Mit dem Design des Schuhs werden absichtlich die Vorschriften des Basketballverbands verletzt. Und zum großen Finale pfeift er noch auf die Präsentation der Marketingexperten und zieht einfach sein eigenes Ding durch! Experten, was wissen die schon? Regeln sind für Pussies. Ein echter Mann hört auf sein Bauchgefühl und prescht vor! Ein echter Amerikaner weiß einfach, was richtig ist!
Und dieser Mann, der einfach weiß, was richtig und was falsch ist, ist natürlich nicht einfach nur Amerikaner. Er ist weiß, in den Fünfzigern und hat Übergewicht. „Argo“ wurde damals außerhalb der USA absolut zu recht für seine Geschichtsfälschung kritisiert. Wie die echten Helden der in „Argo“ beschriebenen Rettungsaktion damals die Kanadier waren und nicht die Amerikaner, haben wir nun mit „Air – Der große Wurf“ einen Film, in dessen Mittelpunkt einer der erfolgreichsten schwarzen Sportler aller Zeiten stehen sollte. Michael Jordan wird im Film allerdings nur von hinten gezeigt.
Uns ist natürlich klar: ebenso wie die amerikanische Wirtschaft hatte auch der weiße, mittelalte, übergewichtige, amerikanische Mann ganz allgemein schon lange keine Erfolgsgeschichte mehr. Aber deshalb im Jahr 2023 einen der erfolgreichsten schwarzen Sportler aller Zeiten zum Statisten in dieser Geschichte zu machen, ist eine obskure Entscheidung. Das Motto des Films könnte auch lauten: „White Stories Matter!“.
Bereits „Argo“ hatte eine großartige Besetzung, angeführt von Bryan Cranston, John Goodman und Alan Arkin. In „Air – Der große Wurf“ macht Matt Damon das Beste aus einer Rolle, die eine Ansammlung von Klischees ist. Damon hat in den letzten Jahren einige schwache Leistungen in Filmen wie „Elysium“ oder „The Great Wall“ gezeigt. Er hat aber immer wieder entweder in kleinen Filmen, wie „Liberace“, oder kleinen Rollen, wie in „Interstellar“ gezeigt, was er kann. Hier schafft er es, uns mit einer Figur mitfiebern zu lassen, die vom Drehbuchautor nur grob skizziert wurde.
Der Rest der Besetzung muss Rollenfragmente darstellen. Denn als „Figuren“ oder gar „Charaktere“ kann man das, was Affleck nach einem Drehbuch von Erstlingsautor Alex Convery auf der Leinwand zeigt, nicht bezeichnen. Jason Bateman („Juno“) spielt Matt Damons Vorgesetzten farblos aber sympathisch. Christ Tucker („Rush Hour“) spielt jemanden, der vielleicht wohl ein weiterer Vorgesetzter aber vielleicht auch nur ein Kollege der Hauptfigur ist, angenehm zurückgenommen. Marlon Wayans („G.I. Joe“) macht das Beste aus einem Auftritt als Stichwortgeber.
Chris Messina („Argo“) spielt einen Unsympathen. Affleck selbst spielt den Firmengründer Phil Knight unentschlossener und ungeschickter als dieser je agiert haben kann. Und wie schon in „Argo“ trägt Affleck wieder einen Bart, der ihn auch nicht überzeugender wirken lässt. Irgendwo im Film sehen wir dann sogar kurz die große Barbara Sukowa als Witwe von Adi Dassler. Aber kaum hat man sie erkannt, ist sie auch wieder weg, ohne den Film bereichert zu haben.
Matthew Mahers („Lady Bird“) Darstellung des Schuhdesigners Peter Moore bereichert den Film. Mahers bringt eine berührende Menschlichkeit in eine Rolle ein, die ein anderer Darsteller vielleicht als Klischee eines Sonderlings dargestellt hätte.
Die meisten von uns kennen Viola Davis als Amanda Waller aus verschiedenen DC-Comic-Verfilmungen. Aber Davis hat einen Oscar für ihre Leistung in dem Drama „Fences“ verliehen bekommen und würde einen weiteren für ihre Darstellung in „Air – Der große Wurf“ verdienen. Ihre intelligente und warmherzige Darstellung von Michael Jordans Mutter bewahrt den Film davor, bloß die schwer verdauliche Erfolgsgeschichte weißer, übergewichtiger Männer in mittleren Jahren zu bleiben. Ein besserer Regisseur hätte ihre Seite der Geschichte um zusätzliche Szenen erweitert und den Film damit aufgewertet.