Einerseits wird jeder Schritt Dianas überwacht. Andererseits stellt man ihr eine Drahtschere und später, während sie tatsächlich am Dinnertisch sitzen sollte, eine Taschenlampe und Gummistiefel für einen nächtlichen Ausflug zur Verfügung. Und warum sollte denn der Familiensitz der Spencers in diesem Film verbarrikadiert und baufällig sein? Das hat schon etwas von Realitätsverlust. Diana hatte sicher ihre Probleme, aber sie war nicht psychotisch. Und selbst das würde nicht erklären, warum ein Mitarbeiter am Drive-In- Schalter eines Fastfood-Restaurants nach dem Familiennamen fragt.
Es ist wirklich schade, dass der Film am Ende einfach zu viel Gas gibt und aus der Kurve getragen wird. „Spencer“ ist extrem hochwertig produziert. Die Drehorte wirken höchst authentisch, obwohl das britische Sandringham House von zwei deutschen Schlössern „gedoubelt“ wurde. Die Ausstattung ist erstklassig. Die Kopien von Dianas Kleidung wirken teilweise hyper-realistisch, weil sie nicht nur den bekannten Originalen nachempfunden wurden, sondern auch deren Epochen repräsentieren, für Abschnitte im Leben ihrer Trägerin stehen.
All I need is you
Auch die Besetzung ist erstklassig. Kristen Stewart ist zuletzt in „Jean Seberg – Against all Enemies“ an der Darstellung einer schwierigen berühmten Frauenfigur grandios gescheitert. Wer hätte gedacht, dass gerade sie Diana so hervorragend verkörpern könnte? Nachdem man „Spencer“ gesehen hat, kann man sich kaum eine andere Darstellerin in dieser Rolle vorstellen.
Stewart ahmt Diana nicht nach. Sie schafft es vielmehr, Dianas Wesen wiederzugeben. Diana wirkte in der Öffentlichkeit oft scheu und zerbrechlich. Im Blitzlicht der Kameras hatte sie etwas von einem Reh im Licht von Scheinwerfern. Stewart vermittelt in ihren Bewegungen genau das und zeigt dabei wie diese Figur sich ihrer Schönheit stets bewusst ist und sich trotzdem im eigenen Körper nicht wohl fühlt. Ihr Gesicht vermittelt immer wieder die ganze verwirrte Emotionalität dieser Frau, ohne jemals ins Hysterische zu kippen. Stewart leistet hier Erstaunliches und zeigt die mit Abstand reifste und komplexeste Darstellung ihrer Karriere.
„Spencer“ ist beinahe eine „One-Woman-Show“. Dabei kann man leicht die großartigen Leistungen der Nebendarsteller übersehen. Timothy Spall kennen die meisten von uns vor allem aus den „Harry Potter“-Filmen. Aber dieser erfahrene Theater- und Filmschauspieler kann viel mehr und zeigt das mit einer Darstellung, die vielleicht zum großen Teil bloß der Wahrnehmung der Hauptfigur entspricht und trotzdem immer realistisch bleibt.
Sean Harris („Prometheus“ und die letzten beiden „Mission: Impossible“-Filme) hat nur wenige Szenen als Küchenchef, der halb Unteroffizier, halb Poet ist. Aber er zelebriert jede dieser Szenen, sodass es eine Freude ist, ihm zuzusehen.
Sally Hawkins‘ Rolle als Zofe wurde leider nicht richtig zu Ende geschrieben. Hawkins kann dieses Fragment einer Figur nicht wirklich mit Leben füllen, versucht es aber redlich.
Fazit
Ein schwieriger, schwer zu verstehender aber mutiger Film über eine schwierige, schwer zu verstehende Person, kongenial dargestellt von Kristen Stewart. Leider gerät das originelle Konzept am Ende deutlich aus der Spur.