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Kritik: Amsterdam

 
dfdh kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Hochwertige Komponenten sollten immer auch ein hochwertiges Ganzes ergeben. Doch in seltenen Glücksfällen ist das Ganze mehr als die Summe seiner Einzelteile. Und manchmal ...
 
A lot of this happened
 
Dr. Burt Berendsen behandelt im New York des Jahres 1933 die physischen und psychischen Schäden von Veteranen des ersten Weltkriegs. Sein bester Freund und Kriegskamerad, der schwarze Anwalt Harold Woodman, bittet ihn um Hilfe. Berendsen soll schnell und heimlich eine Autopsie an ihrem verstorbenen ehemaligen kommandierenden Offizier, General Meekins, durchführen. Hinweise deuten auf eine Ermordung hin. Als die Freunde die Tochter des Generals informieren wollen, wird auch diese ermordet und der Mord den beiden in die Schuhe geschoben. Und dann wird alles richtig schwierig ...
 
Regisseur und Drehbuchautor David O. Russel schafft es regelmäßig, mit seinen Filmen bei der Kritik und auch beim Publikum einen Nerv zu treffen. Vielleicht weil er immer mit großartigen Besetzungen arbeitet, wirken seine Filme viel hochwertiger als sie tatsächlich sind. „Three Kings“ mit George Clooney gab sich als Antikriegs-Farce aus, obwohl der Film eigentlich nur ein banaler Abenteuerfilm war und wurde prompt ein Erfolg. Ohne die bipolare Störung der Hauptfigur und ohne Bradley Cooper und Jennifer Lawrence wäre „Silver Linings“ eine brauchbare Rom-Com gewesen. Die beiden retteten kurze Zeit später zusammen mit Christian Bale und Amy Adams dann auch das passable Martin-Scorsese-Imitat „American Hustle“.
 
 
Weil all diese Filme so erfolgreich waren, hat das Studio David O. Russel auch bei „Amsterdam“ freie Hand gegeben. Und warum auch nicht? Das Projekt hatte alles, was man für einen Erfolg braucht.
 
Da wären zunächst die originellen, unverbrauchten Themen. Das Unverständnis gegenüber Kriegsversehrten und eine faschistische Verschwörung in den USA der Neunzehndreißigerjahre haben wir eben nicht bereits in unzähligen Filmen gezeigt bekommen. Trotzdem ist die Geschichte von großer Relevanz für unsere heutige Zeit.
 
Der Look des Films ist wunderschön. Die Kostüme wurden unter anderem von Albert Wolsky entworfen, der für „All That Jazz“ und „Bugsy“ zwei Oscars bekommen hat. Christian Bale trägt im Film einen Anzug, der Teil seines Charakters zu sein scheint. Margot Robbie ist natürlich eine der schönsten Frauen Hollywoods. Aber ihre Kostüme vor allem in der zweiten Hälfte des Films sind ein wahres Fest für die Augen.
 
Zum Look des Films trägt auch die hervorragende Ausstattung bei. Judy Becker war bereits für „American Hustle“ für einen Oscar nominiert und war unter anderem für das fantastische Produktionsdesign von „Carol“ verantwortlich. Sie und ihr Team zaubern eine längst vergangene Welt auf die Leinwand. Die Räume dieser vergangenen Jahrzehnte und ihre Einrichtungen wirken nie künstlich. Nichts sieht übertrieben aus. Alles wirkt authentisch.
 
Dieser großartige Look wird von Emmanuel Lubezki auf Film gebannt. Lubezki hat dreimal hintereinander den Oscar für die beste Kameraarbeit verliehen bekommen: 2014 für „Gravity“, 2015 für „Birdman“ und 2016 für „The Revenant“. Davor war er für so unterschiedliche und wunderschöne Filme wie „The New World“ oder „Children of Men“ nominiert. Seine Bilder in „Amsterdam“ wirken, als wäre er mit seinem Team zunächst in die Zukunft gereist um die beste Kameraausrüstung aller Zeiten zu besorgen, um dann wieder in die Zeit zwischen 1918 und 1933 zurückzureisen und dort den Film zu drehen.
 
Aber das allerbeste an „Amsterdam“ ist die Besetzung. Christian Bale spielt einen körperlich und seelisch zerrissenen Mann. Wir spüren seinen Schmerz durch die Art wie er seinen geschundenen Körper hält. Und wir fühlen die Liebe und Kameradschaft, die Hoffnung, die dieser Mann immer noch für sich und die Menschheit hegt, durch sein trauriges Lächeln, das nie ganz verschwindet. Die Handlung des Films umspannt fünfzehn Jahre und Bale lässt seinen Burt Berendsen aussehen, als wäre er während dieser Zeit um vierzig Jahre gealtert.
 
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Margot Robbie ist eine der interessantesten Schauspielerinnen unserer Zeit. Hier strahlt sie in ihren frühen Szenen eine solche Energie aus, die beiden männlichen Protagonisten können gar nicht anders, als sich ein bisschen wie „Jules und Jim“ in sie zu verlieben. Und wir verlieben uns gleich mit. Später spielt sie eine gequälte Frau, die wieder stark und unabhängig sein will und vermittelt das und noch viel mehr durch ihre Haltung, selbst wenn ihre Figur stolpert.
 
John David Washington („Tenet“) spielt die dritte Hauptrolle des Films und kann einem leidtun. Fast eine Stunde lang meinte ich, sein Spiel im Film wäre etwas langweilig. Aber tatsächlich hat Washington bloß das Pech den „straight man“ unter lauter schillernden Charakteren spielen zu müssen, die alle von großartigen Schauspieler*innen dargestellt werden.
 
Denn selbst die kleinsten Nebenrollen sind hervorragend besetzt. Anya Taylor-Joy („Split“) ist so fantastisch als privilegierte Upper-Class-Lady, sie ist uns unsympathisch, noch bevor sie uns Grund dazu gegeben hat. Rami Malek („Bohemian Rhapsody“) mal nicht übertreiben zu sehen, ist für sich schon etwas ganz Besonderes. Hier trifft er immer genau den richtigen Ton und lässt uns stets nachvollziehen, was seine Figur antreibt. Timothy Olyphant („Hitman“) ist kaum zu erkennen und wirkt bedrohlicher als die Pistole in seiner Hand. Selbst Taylor Swift wirkt in ihren beiden Szenen absolut authentisch.
 
Manche der Nebendarsteller sind so großartig, man möchte viel mehr von ihnen sehen. Andrea Riseborough wirkte bereits in „Oblivion“ ebenso hassenswert wie menschlich. Hier geht sie noch weiter und vermittelt uns in wenigen Szenen eine Frau, die vom eigenen Status so korrumpiert wurde, dass sie gar nicht mehr wahrnimmt, wie menschenverachtend sie agiert.
 
Zoe Saldana („Avatar“) spielt extrem zurückhaltend, fast bescheiden und trotzdem Christian Bale an die Wand. Chris Rock stellt die Stimme der Vernunft in einer verrückten, gefährlichen Welt dar. Und selbst Hollywood-Legende Robert De Niro lässt endlich wieder einmal erkennen, was er tatsächlich kann.
 
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Do me a favor, try to be optimistic
 
Wir haben hier also lauter Komponenten, mit denen man praktisch nichts anderes als einen hervorragenden Film machen kann. Ich unterstelle, 20th Century Studios haben die Oscar-Kampagne für dieses Projekt bereits bei Beginn der Dreharbeiten gestartet. Und wie ich die Academy kenne, wird dieser Film demnächst auch einige Nominierungen, wenn nicht sogar Statuen bekommen.
 
Und trotzdem kann man dieses Projekt nur als gescheitert betrachten. „Amsterdam“ sollte ein ganz besonderer Film werden, vielleicht sogar ein Meisterwerk. Tatsächlich ist der Film unerträglich geraten. Angeblich soll der Film eine Laufzeit von 2 Stunden und 14 Minuten haben. Mir kam er länger vor. Viel länger. Irgendwann wollte ich bloß noch dass dieser Film aufhört. Er sollte endlich zu Ende sein. Ich wollte einfach nur, dass endlich Schluss ist und ich enttäuscht nach Hause gehen konnte.
 
Nun warum habe ich mit „Amsterdam“ meine größte Enttäuschung erlebt, seit ich mich als Halbwüchsiger mal in eine Peepshow geschmuggelt hatte? Weil David O. Russel einfach nicht weiß, wann er mal die Klappe zu halten hat. Und weil er gleichzeitig Drehbuchautor und Regisseur dieses Films ist, weiß auch sein ganzer Film - inklusive aller Figuren darin - einfach nicht, wann er die Klappe zu halten hat. Denn dieser Filmer hält einfach nie die Klappe! Niemals! Nicht eine Minute!
 
„Amsterdam“ dauert 2 Stunden und 14 Minuten. Und genau 2 Stunden und 14 Minuten wird gequatscht! Es wird nicht eine Minute die Klappe gehalten. Nicht eine einzige Minute! Nicht eine! Tatsächlich gibt es nicht einmal für zehn Sekunden mal eine Pause. Es wird ununterbrochen gesprochen! Ständig! Immer! David O. Russel hat einige der besten Schauspieler*innen unserer Zeit engagiert um sie ununterbrochen quatschen zu lassen!
 
Christian Bale kann mit einem Lächeln eine Geschichte erzählen. Margot Robbie kann uns mit einem Blick das Herz brechen. Aber David O. Russel lässt diese Künstler*innen ununterbrochen quatschen. Russel hat Robert Fucking De Niro angeheuert, bloß damit er in seiner ersten Szene den drei Hauptfiguren erzählt, was bisher passiert ist. In seiner zweiten Szene erzählt De Niro, was er demnächst tun wird. Überaschenderweise ist das, was seine Figur als nächstes tun wird einfach nur Quatschen. De Niro erzählt also, was er demnächst erzählen wird. In De Niros dritter Szene erzählt er dann, was er uns in seiner zweiten Szene erzählt hat, was er in Szene drei erzählen wird ... Aaaaaaaaarrrrrgggggghhhh!!!!
 
Lange Zeit hielt ich „Intrigo: Tod eines Autors“ für den schlimmsten Fall von „Voice Over“ in der Geschichte des Films. Wer mag kann in unserer Rezension zu diesem misslungenen Film von 2018 nachlesen, warum weniger oft mehr ist. Vor allem, wenn einem eine handelnde Figur ständig erklärt, was ohnehin gerade auf der Leinwand zu sehen ist. Im Vergleich zu „Amsterdam“ ist „Intrigo: Tod eines Autors“ praktisch ein Stummfilm.
 
In „Amsterdam“ erzählt nicht bloß eine Figur aus dem Off. Nein, irgendwann darf uns gefühlt jede der Hauptfiguren die Handlung erklären, wenn sie nicht ohnehin gerade im Bild quatscht.
 
Zu den schönsten Sequenzen dieses Films hätten die Szenen zählen müssen, die tatsächlich in Amsterdam spielen. Die drei Freunde haben die Schrecken des Krieges und ihre alten Leben hinter sich gelassen. Sie leben in einer neuen Welt, frei von Zwängen, frei von Erwartungen. Sie leben miteinander und lieben einander. Die Zukunft liegt vor ihnen. Das alles wird vermittelt, während sie voll jugendlicher Energie zu damals moderner Jazzmusik tanzen. Während dieser gesamten wunderschönen anzusehenden Szenen, wird ständig gequatscht! David O. Russel lässt eine der besten Sequenzen seines Films tatsächlich kaputtquatschen und ruiniert so seinen eigenen Film.
 
Dieses ganze verdammte Gequatsche ist komplett überflüssig! Die Handlung ist, mit Verlaub, nicht so kompliziert, dass man sie uns immer und immer wieder erklären müsste. Und wie wenig Vertrauen muss Russel in seine Darsteller*innen, ja in sämtliche Mitwirkenden seines Films haben, dass er meint, jede Sekunde mit Text füllen zu müssen. Wie arrogant und verblendet muss er sein, um zu denken: „So, da habe ich nun all diese fantastischen Schauspieler und Schauspielerinnen. Ich glaube ja nicht, dass die einfach so vermitteln können, was in ihnen vorgeht. Ich schreibe jedem und jeder einzelnen besser noch ein paarhundert Zeilen Text, damit sie das alles in Ruhe erklären können. Ich bin als Autor einfach so viel besser als alle anderen in ihren Jobs.“
 
Aber vielleicht traut David O. Russel auch seinem Publikum nicht zu, seinen Film zu verstehen, wenn er diesen nicht immer und immer wieder erklären lässt. Russels vorletzter Film „Joy“ war kein großer Erfolg. Jennifer Lawrence allein konnte die banale Handlung damals nicht retten. Der Film spielte 2015 nicht einmal seine Kosten ein. Danach hat Russel mehrere Jahre keinen weiteren Film gedreht. „Amsterdam“ ist sein erster Film in sieben Jahren. Im Interesse des Publikums und der armen Menschen, die mit ihm vielleicht zusammenarbeiten werden, kann man Russel nur zu einer noch längeren Pause bis zum nächsten Film raten. Vielleicht lernt er dann, sich selbst und seine Dialoge nicht mehr ganz so wichtig zu nehmen.
 
Fazit
 
Hier ist das Ganze weniger als die Summe seiner hervorragenden Einzelteile. David O. Russel standen großartige Komponenten zur Verfügung und er hat daraus einen Film gemacht, der uns mehr als zwei Stunden lang vollquatscht. Das Ergebnis ist kaum zu ertragen.
 
 
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