Margot Robbie ist eine der interessantesten Schauspielerinnen unserer Zeit. Hier strahlt sie in ihren frühen Szenen eine solche Energie aus, die beiden männlichen Protagonisten können gar nicht anders, als sich ein bisschen wie „Jules und Jim“ in sie zu verlieben. Und wir verlieben uns gleich mit. Später spielt sie eine gequälte Frau, die wieder stark und unabhängig sein will und vermittelt das und noch viel mehr durch ihre Haltung, selbst wenn ihre Figur stolpert.
John David Washington („Tenet“) spielt die dritte Hauptrolle des Films und kann einem leidtun. Fast eine Stunde lang meinte ich, sein Spiel im Film wäre etwas langweilig. Aber tatsächlich hat Washington bloß das Pech den „straight man“ unter lauter schillernden Charakteren spielen zu müssen, die alle von großartigen Schauspieler*innen dargestellt werden.
Denn selbst die kleinsten Nebenrollen sind hervorragend besetzt. Anya Taylor-Joy („Split“) ist so fantastisch als privilegierte Upper-Class-Lady, sie ist uns unsympathisch, noch bevor sie uns Grund dazu gegeben hat. Rami Malek („Bohemian Rhapsody“) mal nicht übertreiben zu sehen, ist für sich schon etwas ganz Besonderes. Hier trifft er immer genau den richtigen Ton und lässt uns stets nachvollziehen, was seine Figur antreibt. Timothy Olyphant („Hitman“) ist kaum zu erkennen und wirkt bedrohlicher als die Pistole in seiner Hand. Selbst Taylor Swift wirkt in ihren beiden Szenen absolut authentisch.
Manche der Nebendarsteller sind so großartig, man möchte viel mehr von ihnen sehen. Andrea Riseborough wirkte bereits in „Oblivion“ ebenso hassenswert wie menschlich. Hier geht sie noch weiter und vermittelt uns in wenigen Szenen eine Frau, die vom eigenen Status so korrumpiert wurde, dass sie gar nicht mehr wahrnimmt, wie menschenverachtend sie agiert.
Zoe Saldana („Avatar“) spielt extrem zurückhaltend, fast bescheiden und trotzdem Christian Bale an die Wand. Chris Rock stellt die Stimme der Vernunft in einer verrückten, gefährlichen Welt dar. Und selbst Hollywood-Legende Robert De Niro lässt endlich wieder einmal erkennen, was er tatsächlich kann.
Do me a favor, try to be optimistic
Wir haben hier also lauter Komponenten, mit denen man praktisch nichts anderes als einen hervorragenden Film machen kann. Ich unterstelle, 20th Century Studios haben die Oscar-Kampagne für dieses Projekt bereits bei Beginn der Dreharbeiten gestartet. Und wie ich die Academy kenne, wird dieser Film demnächst auch einige Nominierungen, wenn nicht sogar Statuen bekommen.
Und trotzdem kann man dieses Projekt nur als gescheitert betrachten. „Amsterdam“ sollte ein ganz besonderer Film werden, vielleicht sogar ein Meisterwerk. Tatsächlich ist der Film unerträglich geraten. Angeblich soll der Film eine Laufzeit von 2 Stunden und 14 Minuten haben. Mir kam er länger vor. Viel länger. Irgendwann wollte ich bloß noch dass dieser Film aufhört. Er sollte endlich zu Ende sein. Ich wollte einfach nur, dass endlich Schluss ist und ich enttäuscht nach Hause gehen konnte.
Nun warum habe ich mit „Amsterdam“ meine größte Enttäuschung erlebt, seit ich mich als Halbwüchsiger mal in eine Peepshow geschmuggelt hatte? Weil David O. Russel einfach nicht weiß, wann er mal die Klappe zu halten hat. Und weil er gleichzeitig Drehbuchautor und Regisseur dieses Films ist, weiß auch sein ganzer Film - inklusive aller Figuren darin - einfach nicht, wann er die Klappe zu halten hat. Denn dieser Filmer hält einfach nie die Klappe! Niemals! Nicht eine Minute!
„Amsterdam“ dauert 2 Stunden und 14 Minuten. Und genau 2 Stunden und 14 Minuten wird gequatscht! Es wird nicht eine Minute die Klappe gehalten. Nicht eine einzige Minute! Nicht eine! Tatsächlich gibt es nicht einmal für zehn Sekunden mal eine Pause. Es wird ununterbrochen gesprochen! Ständig! Immer! David O. Russel hat einige der besten Schauspieler*innen unserer Zeit engagiert um sie ununterbrochen quatschen zu lassen!
Christian Bale kann mit einem Lächeln eine Geschichte erzählen. Margot Robbie kann uns mit einem Blick das Herz brechen. Aber David O. Russel lässt diese Künstler*innen ununterbrochen quatschen. Russel hat Robert Fucking De Niro angeheuert, bloß damit er in seiner ersten Szene den drei Hauptfiguren erzählt, was bisher passiert ist. In seiner zweiten Szene erzählt De Niro, was er demnächst tun wird. Überaschenderweise ist das, was seine Figur als nächstes tun wird einfach nur Quatschen. De Niro erzählt also, was er demnächst erzählen wird. In De Niros dritter Szene erzählt er dann, was er uns in seiner zweiten Szene erzählt hat, was er in Szene drei erzählen wird ... Aaaaaaaaarrrrrgggggghhhh!!!!
Lange Zeit hielt ich „Intrigo: Tod eines Autors“ für den schlimmsten Fall von „Voice Over“ in der Geschichte des Films. Wer mag kann in unserer Rezension zu diesem misslungenen Film von 2018 nachlesen, warum weniger oft mehr ist. Vor allem, wenn einem eine handelnde Figur ständig erklärt, was ohnehin gerade auf der Leinwand zu sehen ist. Im Vergleich zu „Amsterdam“ ist „Intrigo: Tod eines Autors“ praktisch ein Stummfilm.
In „Amsterdam“ erzählt nicht bloß eine Figur aus dem Off. Nein, irgendwann darf uns gefühlt jede der Hauptfiguren die Handlung erklären, wenn sie nicht ohnehin gerade im Bild quatscht.
Zu den schönsten Sequenzen dieses Films hätten die Szenen zählen müssen, die tatsächlich in Amsterdam spielen. Die drei Freunde haben die Schrecken des Krieges und ihre alten Leben hinter sich gelassen. Sie leben in einer neuen Welt, frei von Zwängen, frei von Erwartungen. Sie leben miteinander und lieben einander. Die Zukunft liegt vor ihnen. Das alles wird vermittelt, während sie voll jugendlicher Energie zu damals moderner Jazzmusik tanzen. Während dieser gesamten wunderschönen anzusehenden Szenen, wird ständig gequatscht! David O. Russel lässt eine der besten Sequenzen seines Films tatsächlich kaputtquatschen und ruiniert so seinen eigenen Film.
Dieses ganze verdammte Gequatsche ist komplett überflüssig! Die Handlung ist, mit Verlaub, nicht so kompliziert, dass man sie uns immer und immer wieder erklären müsste. Und wie wenig Vertrauen muss Russel in seine Darsteller*innen, ja in sämtliche Mitwirkenden seines Films haben, dass er meint, jede Sekunde mit Text füllen zu müssen. Wie arrogant und verblendet muss er sein, um zu denken: „So, da habe ich nun all diese fantastischen Schauspieler und Schauspielerinnen. Ich glaube ja nicht, dass die einfach so vermitteln können, was in ihnen vorgeht. Ich schreibe jedem und jeder einzelnen besser noch ein paarhundert Zeilen Text, damit sie das alles in Ruhe erklären können. Ich bin als Autor einfach so viel besser als alle anderen in ihren Jobs.“
Aber vielleicht traut David O. Russel auch seinem Publikum nicht zu, seinen Film zu verstehen, wenn er diesen nicht immer und immer wieder erklären lässt. Russels vorletzter Film „Joy“ war kein großer Erfolg. Jennifer Lawrence allein konnte die banale Handlung damals nicht retten. Der Film spielte 2015 nicht einmal seine Kosten ein. Danach hat Russel mehrere Jahre keinen weiteren Film gedreht. „Amsterdam“ ist sein erster Film in sieben Jahren. Im Interesse des Publikums und der armen Menschen, die mit ihm vielleicht zusammenarbeiten werden, kann man Russel nur zu einer noch längeren Pause bis zum nächsten Film raten. Vielleicht lernt er dann, sich selbst und seine Dialoge nicht mehr ganz so wichtig zu nehmen.