Wenn Dystopien zu offensichtlich sind
Es ist wirklich erstaunlich wie gut sich die grundsätzliche Prämisse der Romanvorlage über die Zeit gerettet hat. Mittlerweile ist das menschliche Erbgut wirklich entschlüsselt und Forscher in aller Welt machen sich daran, genetische Defekte auszubessern und irgendwann unsere DNA auch grundsätzlich zu verbessern. Ob bis 2049 allerdings schon industriell gefertigte menschliche Klone existieren sei dahingestellt. Die Frage nach dem richtigen Umgang mit geklonten Embryonen stellt sich allerdings schon heute in der Gesetzgebung und wird die Forschung sicherlich noch einige Jahrzehnte beschäftigen.
Doch wie der momentane Verlauf der Dinge aussieht, könnte die große Revolution der Replikanten zumindest vertagt werden, vor konkreten physischen Verbesserungen steht zunächst noch lange Grundlagenforschung über die höchst komplexe Wirkungsweise von Genen aus. Doch zumindest haben Matrix, Minority Report und Co schon etliche Schreckens-Szenarien an die Wand gemalt, wie sich Gesellschaften in eine fatale Richtung entwickeln können, hoffentlich erreicht diese Warnung in den Kinosälen auch ein paar Trump-Anhänger, Erdogan-Fans, Putin-Liebhaber und AfD-Wähler.
Am Rande des Films werden auch andere dystopische Elemente moderat auf den neuesten Stand gebracht, sowohl was den Klimawandel betrifft, als auch technische Errungenschaften wie selbststeuernde Drohnen und schlanke Datenträger für Hologramme. Es ist also ein bisschen weniger klassischer Cyberpunk in der Neuverfilmung zu sehen, obwohl die grundsätzliche Atmosphäre und der überwiegende Look der Figuren, der Autos und der Stadt gleich geblieben ist. Längst wirken uns diese extremen Umgebungen fast vertraut, so oft wurden sie schon filmisch verarbeitet. Und mit jedem Mal verlieren Sie natürlich auch ein bisschen von ihrer Bildgewalt.
Träumen Androiden von hölzernen Pferden
Eine Sache die offensichtlich nicht modernisiert wurde, sind klassische Genderklischees. Es reicht leider nicht, hier und da mal Frauen ein paar Sätze sagen zu lassen, wenn ihre Figuren ansonsten völlig zweidimensional geschrieben sind. Es wäre durchaus wünschenswert der weiblichen Seite der Geschichte mehr Raum zu geben, als ab und zu ein paar Brüste auf der Leinwand zu zeigen. Dazu kommt noch eine relativ emotionslose Performance von Ryan Gosling, dessen sonst so umjubelte Schauspielkunst in diesem besonderen Kontext streckenweise zu forciert, zu hölzern wirkt.
Apropos hölzern, es gibt dann doch zwei bis drei dramaturgische Lücken, die der Film nicht aufzulösen vermag. Hier wird abzuwarten sein, was die Fangemeinde an Interpretationen aus dem Hut zaubert, um der Handlung im Nachhinein eine logische Geschlossenheit zu verpassen. Ridley Scott hat ja auch schon mit der Alien-Filmreihe einige Verwirrung unter den Filmtheoretikern ausgelöst und scheint die fehlende Verständlichkeit seiner Werke durch starke Bildsprache und verklärte Mystik wettmachen zu wollen. Doch daran ist das heutige Publikum dank der vielen Marvel-Comic-Verfilmungen, Transformers-Action-Spektakeln und Christopher-Nolan-Fantasien ja längst gewöhnt.