„Shang-Chi“ ist weder der bekannteste, noch der originellste Held im Marvel-Universum. Da braucht es vor und hinter der Kamera ganz besondere Talente, wenn der neue Film die Reihe beleben soll …
Welcome to the Hotel California …
Üblicherweise beginne ich meine Rezensionen gerne mit einem Überblick über die Handlung des Films. Aber jetzt mal ernsthaft, „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist eine Origin-Story eines Marvel-Helden. Wer diese Zeilen hier liest und sich nicht ungefähr selbst denken kann, wie die Handlung dieses Films abläuft (und zwar bis zur allerletzten Minute), kann in den letzten Fünfzehn Jahren nicht allzu oft im Kino gewesen sein.
Also bitte: Junger Mann hat besondere Kräfte, mindestens ein Elternteil tot, ein anderes wohl in irgendwelchen finsteren Machenschaften verwickelt, es gibt einen witzigen side-kick, erster Kampf, ein nahestehender Mensch ist in Gefahr, zweiter Kampf, Rückblende, noch ein Kampf, Rückblende, … einen Moment, vielleicht ist doch alles ganz anders, … nein, es ist doch alles so wie es aussieht, Rückblende, noch ein Kampf, noch eine Rückblende, noch ein Kampf, irgendwann dazwischen taucht eine Figur aus einem anderen Marvel-Film auf, dann noch eine, Rückblende, Endkampf, mid-credit-scene mit weiteren Cameos, überraschende end-credit-scene ohne echte Überraschung und schon sind 132 Minuten vergangen.
Über den bislang vorletzten Marvel-Film „Black Widow“ habe ich neulich geschrieben „Alles ist so generisch, dass man schon mal das Interesse verlieren kann.“. Und über die Regie meinte ich damals „Vielleicht liegt es an Cate Shortland, die zum ersten Mal einen Film dieser Größenordnung inszeniert hat, warum „Black Widow“ nie richtig interessant wird.“ Tja, damals kannte ich „Shang-Chi“ und seine 10 Ringe noch nicht. Wie immer bei Marvel tut sich viel auf der Leinwand. Bei „Shang-Chi“ ist das meiste davon leider weder besonders spannend, noch besonders originell oder besonders interessant. Bereits die erste Kampfszene während des Prologs ist so lieblos gestaltet, dass man nicht genau sieht, wogegen die zehn Ringe hier eingesetzt werden. Ach ja, es sind Pfeile. Das ergibt Sinn, kurz vorher waren Bogenschützen im Bild. Darauf folgt eine Art Kampf-Tanz, der ganz nett anzusehen ist, mehr aber auch nicht.
Während der ersten Action-Sequenz mit dem Helden sieht ein Bus in einzelnen Einstellungen nicht wirklich überzeugend aus, aber die Sequenz funktioniert so halbwegs. Und nach einem mittelmäßigen Kampf zwischen Geschwistern fragt man sich, wie viel Erfahrung der Regisseur mit Inszenierung von Actionszenen hat?
Gar keine. Nicht die geringste. Regisseur Destin Daniel Cretton hat bisher nur zwei Spielfilme inszeniert. „Schloss aus Glas“ und „Just Mercy“ waren Dramen, die sicher gut gemeint aber nur halbwegs gut gemacht waren und keinerlei bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Während die Actionszenen in „Shang-Chi“ nur halbwegs spannend und leider immer generisch ausfallen, fallen die dramatischen Szenen bestenfalls halbwegs emotional und leider ebenfalls immer generisch aus. Jeder Konflikt ist ebenso vorhersehbar wie lächerlich. Und keiner der Darsteller stellt Emotionen tatsächlich dar. Die Figuren auf der Leinwand reden nur darüber, was mit ihnen passiert und wie sie sich dabei fühlen.
Überhaupt wird in diesem Film sehr viel erklärt. Viel zu viel. Immer und immer wieder. Von viel zu vielen Figuren. An einer Stelle taucht sogar eine Figur aus einem anderen Marvel-Film auf, nur um zu erklären was sie seit ihrem letzten Auftritt erlebt hat, was sie als nächstes tun wird und was sie alles nicht verstanden hat. Ich sehe diesen Schauspieler wirklich sehr gern. Aber der Mann hat einen Oscar bekommen und wurde für seine Verdienste zum Ritter geschlagen. Da muss er doch nicht in einem der schwächsten aller Marvel-Filme den Erklär-Bären spielen. Und noch dazu bloß einen von vielen Erklär-Bären.
Die Action in diesem Film ist also leider bloß mittelmäßig, das Drama funktioniert nicht richtig und das bisschen Handlung rechtfertigt die vielen Erklärungen nicht. Aber Marvel-Filme sind auch immer lustig. Manche sind zum Schreien komisch, wie „Thor: Ragnarok“. Und selbst die schwächeren Beiträge zum Marvel-Universum sind immer auch witzig. Leider funktionieren die witzig gemeinten Szenen in „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ am wenigsten. Das liegt zum einen an den schwachen Gags. Dave Callaham hat bisher die Drehbücher zu solchen Gag-Feuerwerken wie „The Expendables“, „Godzilla“, „Wonder Woman 1984“ und nicht zu vergessen „Doom – Der Film“ verfasst. Man durfte also mit Recht gespannt sein.
Aber Regisseur Cretton hat mit Comedy ebenso wenig Erfahrung wie mit Action. Und wieder ist auch das ganz offensichtlich. Die Gags funktionieren also auch deshalb nicht richtig, weil die Inszenierung nicht richtig funktioniert. Zwei Hotelangestellte sollen den teuren Sportwagen eines Hotelgasts parken. Aber eine der beiden will eine Spritztour unternehmen. Dann sehen wir drei kurze Einstellungen, in denen die beiden mit dem Sportwagen durch die Straßen heizen und das war es dann. Die kurze Episode bleibt folgenlos und man fragt sich, was sollte das nun? In einer anderen Szene singen die beiden Figuren in einer Karaoke-Bar. Aber wieso sehen wir die beiden allein in der Bar? Ist es schon so spät? Oder kann Cretton uns die Szene nicht besser zeigen? Und soll Karaoke für sich bereits witzig sein?
Any time of year you can find it here
Marvel-Helden haben oft witzige side-kicks, die dem Helden schon mal die Show stehlen. „Ant-Man“ hat seine Kumpel. „Spider-Man“ hat seine Mitschüler. Und jeder einzelne der „Guardians of the Galaxy“ ist witziger als „Star-Lord“. Am liebsten würden wir alle einen ganzen Film nur mit Rocket und Groot sehen. Shang-Chis Freundin Katy hingegen ist die erste witzige Nebenfigur im Marvel-Universum von der man gerne weniger gesehen hätte. Diese Figur ist so offensichtlich nur als „witzige Nebenfigur“ in den Film geschrieben worden, man merkt richtig, wie verzweifelt lustig sie sein soll. An der Stelle an der Katy weite Teile der Handlung nacherzählt, ist uns allen klar, dass man hier versucht, Luis‘ herrlich komische Erzählungen aus den „Ant-Man“-Filmen zu imitieren. Diese plumpen Fehler sind es, die „Shang-Chi“ zum witzlosesten aller Marvel-Filme machen.
Simu Liu hat bisher vor allem in Fernsehserien wie „Taken – Die Zeit ist dein Feind“ und „Bad Blood“ mitgespielt. Shang-Chi ist sicher nicht der interessanteste aller Marvel-Helden. Aber Simu Liu spielt ihn komplett frei von Persönlichkeit. Die meisten Marvel-Helden haben keine Tarn-Identität. Aber so wie Liu ihn spielt, würde niemand die Figur des Shang-Chi je für einen Superhelden halten.
Den chinesischen Schauspieler Tony Leung Chiu Wai kennt man auch in Europa aus Filmen wie „Chungking Express“, „Hero“ oder „Internal Affairs“. In Asien gilt er als ebenso renommierter Darsteller wie Sir Ben Kingsley in westlichen Ländern. Seine Darstellung des Vaters, der ein Verbrechersyndikat leitet, wirkt kompetent, mehr nicht.
Als ich „The Farewell“ mit Awkwafina besprochen habe, hat mich ihre Darstellung in diesem Film an ihre Darstellungen in „Crazy Rich Asians“ und „Ocean’s Eight“ erinnert. Und in „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ erinnert mich ihre Darstellung an jede einzelne ihrer früheren Darstellungen. Ihre Rolle als witziger side-kick ist, wie bereits erwähnt, nicht wirklich witzig. Und dass wir alles, was Awkwafina hier liefert, bereits in anderen Filmen genauso gesehen haben, macht ihre Leistung auch nicht unterhaltsamer. Martial-Arts-Film-Legende Michelle Yeoh („Tiger and Dragon“, „Der Morgen stirbt nie“) spielt eine Rolle, die sie wohl im Schlaf spielen könnte. Leider vermittelt sie genau das und sonst nichts.
Fazit
Ein mittelmäßiger Autor verfasste das Drehbuch zur origin-story eines eher uninteressanten Marvel-Helden, das dann von einem mittelmäßigen Regisseur mit mittelmäßigen Darstellern mittelmäßig verfilmt wurde. Hoffen wir, dass man sich mit den kommenden Marvel-Filmen wieder mehr Mühe gibt.