Einen Film wie „The Banshees of Inisherin” sollte man sich nicht einfach nur im Kino ansehen. Auf einen Film wie diesen muss man sich einlassen. Wer sich diesen Film ansieht, sieht hervorragend aufgenommene Bilder der kargen und doch wunderschönen irischen Küstenlandschaft. Wer sich auf den Film einlässt, erkennt wie diese Landschaft ein Teil ihrer Bewohner ist und umgekehrt.
Wer sich den Film ansieht, kann sich über die großartigen Dialoge amüsieren. Wer sich darauf einlässt, erkennt wie viel wichtiger all das ist, was nicht ausgesprochen wird. Wir fühlen das Leid von Männern, die in ihrer Zeit und in ihrer Umgebung das sein mussten, was damals und dort als „männlich“ galt und die kaum je gelernt haben, Gefühle auszudrücken. Wie soll man(n) mit emotionalen Krisen umgehen können, wenn man(n) noch nicht einmal gelernt hat, über Gefühle zu sprechen?
What’s the matter with everybody?
Colin Farrell hat sich im Laufe der letzten Jahre zu einem der vielfältigsten Charakterschauspieler des internationalen Films entwickelt. Seine Leistungen in großartigen aber schwierigen Filmen wie „The Lobster“, „The Beguiled“ oder „The Killing of a Sacred Deer“ werden von der Kritik immer verdient gefeiert. Leider nimmt das Publikum diese kaum wahr und sieht Farrell vor allem in Filmen wie „Artemis viel zu faul“ oder „Phantastische Tierwesen und wie man mit ihnen noch mehr Geld macht“.
In „The Banshees of Inisherin” gelingt Farrell ein ganz besonderes Kunststück. Durch seine subtile Darstellung identifizieren wir uns ganz unwillkürlich mit einer Figur, mit der sich moderne, anspruchsvolle Filmfans kaum identifizieren können sollten. Aber doch fühlen wir mit diesem etwas schlichten, durchaus egoistischen, recht provinziellen Menschen, der vermutlich noch nie seine Insel verlassen hat und den zu Beginn des Films nur sein Esel und seine Pub-Besuche mit seinem Freund interessieren. Farrell liefert hier die reife Darstellung eines unreifen Charakters.
Wer Brendan Gleeson nur als kunstaugetragenden Zauberpolizisten aus dieser Filmserie rund um eine schwer zu erreichende Internatsschule kennt, kann einem leidtun. Nicht nur weil einem dann Gleesons großartige Darstellungen komplexer Charaktere in Filmen wie „In Bruges“, „The Guard“ oder „Calvary“ entgangen sind. Sondern weil man in besagter Filmserie Gleesons Gesicht nie richtig zu sehen bekommen hat.
Wenn man sehr viel erlebt hat, sehr viel gesehen hat und all das Erlebte und Gesehene im richtigen Verhältnis aus Schönem und weniger Schönem bestanden hat und man dann noch viel Glück hatte, bekommt man irgendwann ein Gesicht wie Brendan Gleeson. Dieser Mann hat die Art von Gesicht, dem man gegenüber sitzen möchte, wenn man mal sein Herz ausschütten oder mal ernsthaft über das Leben, das Universum und den ganzen Rest sprechen muss.
Und Gleeson spielt mit diesem Gesicht, wie Yehudi Menuhin auf einer Stradivari spielte. Fast immer sanft und immer subtil, erzielt er enorme Wirkung mit feinen kleinen Bewegungen dieses Gesichts. Gleeson kann uns mit seinen Augenbrauen niederschmettern. Er kann uns mit einem Blick das Herz brechen. Seine Darstellung eines Mannes in der Krise verwundet uns fast ebenso, wie seine Figur sich selbst verwundet.
Barry Keoghan hat bereits in jungen Jahren in „The Killing of a Sacred Deer“ neben Colin Farrell gespielt und beeindruckt. Hier amüsiert uns seine Darstellung eines jungen Mannes, der für seine Umwelt zu wenig „Mann“ ist, bis wir irgendwann merken, dass an dieser Figur nur wenig amüsant und vieles tragisch ist.
Kerry Condons Stimme haben Filmfans, die Marvel-Filme in der Originalfassung sehen, jahrelang immer dann gehört wenn das Betriebssystems des „Iron Man“-Anzugs Tony Stark über Feinde, Fehlfunktionen und Schäden informiert hat. Das Gesicht zur Stimme kennt man zum Beispiel aus „Better Call Saul“. In „The Banshees of Inisherin” spielt sie nun Colin Farrells Schwester und stellt damit sowohl das emotionale als auch rationale Zentrum dieses Films dar.