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Kritik: Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Margarethe von Trottas neuer Film will die wahre Geschichte der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch erzählen. Ist das gelungen?
 
Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar
 
Ingeborg Bachmann träumt. Sie bettelt am Telefon. Aber der Mann am anderen Ende der Leitung lacht bloß. Sie erwacht im Krankenhaus. Auf dem Nachttisch liegen Tabletten und Zigaretten. Sie raucht am Fenster. Spricht mit einem Arzt über einen weiteren Traum. In Rückblenden wird ihre Beziehung zu Max Frisch erzählt. Oder wenigstens Bachmanns Version dieser Beziehung ...
 
Tatsächlich erzählt Margarethe von Trotta in „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ nicht die Geschichte der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Nicht einmal Bachmanns Version dieser Beziehung. Es wäre nur verständlich, wenn in dem Film Margarethe von Trottas Version von Bachmanns Version erzählt würde. So funktioniert Kunst. Alles andere wäre Dokumentation. Aber tatsächlich erzählt der Film Margarethe von Trottas Version der Beziehung zwischen Margarethe von Trottas Version von Ingeborg Bachmann mit Margarethe von Trottas Version von Max Frisch.
 
Natürlich muss man in biografischen Filmen immer auslassen und verdichten. Niemand ist an einer minutiösen Nacherzählung eines Lebens interessiert. Was Filmemacher auslassen und was nicht, was sie verdichten und worauf sie näher eingehen, entscheidet maßgeblich über die Qualität von Filmbiografien.
 
 
Margarethe von Trotta ist DIE Expertin für Filmbiografien starker und wichtiger Frauen. Schon vor mehr als dreißig Jahren hat sie sich in „Rosa Luxemburg“ entschieden, den emotionalen Antrieb der Hauptfigur wichtiger zu nehmen als den historischen Hintergrund. 2009 wollte sie uns die mittelalterliche Nonne und Universalgelehrte Hildegard von Bingen unbedingt als Vorreiterin des Feminismus zeigen, die diese sicher nicht war. Einige Jahre später zeigte sie uns in „Hannah Arendt“ wieder vor allem eine starke und wichtige Frau. Über die Philosophie oder die Wiedersprüche dieser Person erfuhren wir nur wenig.
 
Margarethe von Trottas neuer Film funktioniert ganz wunderbar, wenn man sich darin einfach die Geschichte der Beziehung zweier schwieriger, kaum zur Beziehung fähiger Menschen erzählen lässt. Von Trotta beschreibt aufmerksam und sehr fair, wie diese beiden hochintelligenten Menschen regelmäßig zum richtigen Zeitpunkt das Falsche sagen. Schweigen ist für diese beiden Meister der Sprache niemals eine Option. Verständnis, etwa dafür, wie der oder die andere etwas anders sehen und vielleicht trotzdem nicht falsch liegen kann, fehlt beiden völlig. Der Umgang miteinander ist nie lieblos. Diese beiden Menschen können sehr wohl lieben. Und sie lieben auch vom ganzen Herzen und mit ihrem ganzen Wesen. Sie sind nur leider unfähig, eine Beziehung miteinander zu führen. Und weil sie in allen anderen Bereichen ihrer beider Leben so brillant sind, entwickeln sie weder Wahrnehmung noch Bewusstsein für ihre eigene Unfähigkeit, ihre Überforderung und den eigenen Anteil am Scheitern der Beziehung. Diese Geschichte erzählt Margarethe von Trotta in ihrem neuen Film stets nachvollziehbar und emotional packend.
 
Aber diese Geschichte ist aus einer ganzen Reihe von Gründen leider nicht die Geschichte der Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Der Kernsatz im Werk Ingeborg Bachmanns lautet „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“. Wie können sich dann Margarethe von Trottas Auslassungen in diesem Film zu Revisionismus summieren? Wie kann die Filmemacherin die Grenzen der Verdichtung hinter sich lassen und einfach Dichtung betreiben, wenn sie Wichtiges unter den Tisch fallen lässt und Belangloses erfindet? Margarethe von Trotta täuscht das Publikum. Ganz im Geiste Ingeborg Bachmanns müssen wir daher ent-täuschen.
 
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Ent-Täuschung
 
Es ist hinlänglich bekannt, Ingeborg Bachmann und Max Frisch wollten beide von Anfang an eine offene Beziehung führen, in der sexuelle Beziehungen mit anderen Partner*innen ausdrücklich erlaubt waren. Und sowohl Bachmann als auch Frisch hatten während der gesamten Zeit dieser Beziehung andere Sexpartner. Bachmanns Affäre mit Hans Magnus Enzensberger war nur die bekannteste, aber nicht die einzige während dieser Zeit. Wenn nichts davon im Film Erwähnung findet und die Beziehung im Film wegen einer flüchtigen Affäre Frischs ein Ende findet, hat das nichts mehr mit den tatsächlichen und längst bekannten Begebenheiten zu tun.
 
Wenn die Heldin in Ägypten Sex mit drei Männern gleichzeitig hat und danach „befreit“ in der Wüste herum hüpft wie eine Pauschaltouristin, die im Urlaub die Sau rauslässt, erweist die Filmemacherin dem Objekt ihrer Erzählung einen seltsamen Bärendienst. Wenn die Hauptfigur dabei laut verkündet: „Ich habe meine Rache gehabt an allen Biedermännern, denen ich geopfert habe“, muss man sich fragen, ob von Trotta diese Figur überhaupt verstanden hat. Ingeborg Bachmann hatte ganz andere Methoden, sich an Biedermännern zu rächen.
 
Ronald Zehrfeld hat in so unterschiedlichen Produktionen wie „Rico, Oscar und das Herzgebreche“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“ und vor allem in der kleinen, feinen und zu Unrecht recht unbekannten Fernsehserie „Warten auf’n Bus“ die enorme Bandbreite seines Könnens gezeigt. Aber Zehrfeld war mal DDR-Jugendmeister im Judo. Der Mann ist 190 cm groß und auch mit über vierzig (und einem Bäuchlein) hat er immer noch den Oberkörper und die Schultern eines Türstehers. Er darf Max Frisch darstellen, der mit seinem absolut durchschnittlichen Körperbau eher unscheinbar ausgesehen hat.
 
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Ingeborg Bachmann wurde in Klagenfurt geboren und ist in Kärnten und Niederösterreich aufgewachsen. Im Internet findet man leicht Ausschnitte aus Lesungen und Interviews, die Bachmanns ganz besondere Art zu sprechen und ihren unverwechselbaren Akzent wiedergeben. Bachmanns Konsonanten klangen immer typisch österreichisch weich, die Vokale immer leicht gedehnt.
 
Hauptdarstellerin Vicky Krieps ist Luxemburgerin, ihre Mutter stammt aus Hannover. Und das hört man in jeder Szene des Films. Die Entfernung zwischen Klagenfurt und Luxemburg beträgt um die 900 Kilometer, die zwischen Niederösterreich und Hannover immer noch 700 Kilometer. Vicky Krieps hat für den Film sprachlich keinen einzigen Meter dieser Distanzen überbrückt.
 
Bei aller Verehrung für Ingeborg Bachmann will ich mich – anders als Margarethe von Trotta – an Bachmanns Maxime halten: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“. Und wahr ist, Ingeborg Bachmann war zwar eine ganz besondere Frau, aber von absolut durchschnittlicher äußerer Erscheinung. Ihr Gesicht war interessant, aber sicher nicht schön. Ihre Figur war schlank, aber nicht besonders weiblich. Auf den meisten Fotos trägt Bachmann vergleichsweise schlichte Kleidung.
 
Wenn die bildhübsche Vicky Krieps bei ihrer ersten Begegnung mit Max Frisch in einem rosa Abendkleid jeden Raum zum Leuchten bringt, wirkt das im Film natürlich ganz bezaubernd. Aber der Film erzählt dadurch leider bereits an dieser Stelle nicht mehr die Geschichte der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Hier begegnen einander nicht zwei große Geister und erkennen einander. Hier wird ein Kerl von einer bildschönen Elfe verzaubert und verfällt ihr.
 
Und es ist auch zauberhaft, Krieps und Zehrfeld zuzusehen, wie sie zwei verknallte Erwachsene darstellen. Derlei wird im Film viel zu selten realistisch gezeigt. Meistens wirkt es zuckersüß und ist für das Publikum kaum zu ertragen. Aber Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld zeigen uns echte, erwachsene, verliebte Menschen und zaubern sie uns in diesen Szenen ein Lächeln aufs Gesicht. Aber so nett das alles ist, der Wahrheit um die Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch bringt es uns kein bisschen näher.
 
Vicky Krieps zeigt uns nach ihrer Meisterleistung in „Corsage“ wieder mal eine brillante Darstellung einer schwierigen, historischen Frauenfigur. Aber wo sie in „Corsage“ zwar eine sicher komplett fiktive Version der Elisabeth von Österreich-Ungarn, aber doch immer noch eine Version dargestellt hat, sehen wir sie in diesem Film durchaus als hochintelligente, schwierige, interessante Frau, aber niemals als Ingeborg Bachmann.
 
Krieps ist als Ingeborg Bachmann eine der grandiosesten Fehlbesetzungen der Filmgeschichte. Sie spielt hervorragend, gar keine Frage. Tatsächlich empfiehlt sie sich mit diesem Film wieder als eine der besten Darstellerinnen komplexer Frauenfiguren, die es zurzeit im internationalen Film gibt. Aber Krieps sieht niemals wie Ingeborg Bachmann aus und klingt niemals wie sie. Und auch das verändert die Geschichte des Films so drastisch, dass sie einfach nicht mehr wahr ist. Und in einem Film über Ingeborg Bachmann darf nichts wichtiger sein als die Wahrheit.
 
Fazit
 
Sträfliche Auslassungen, eigenwillige Ergänzungen und die großartige, aber leider fehlbesetzte Vicky Krieps sorgen dafür, dass dieser Film als Geschichte der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch leider nicht funktioniert. Als Geschichte der Beziehung zweier intelligenter, aber schwieriger Menschen funktioniert er durchaus.
 
 
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