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Kritik: Die Unschärferelation der Liebe

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Wenn ein Film von der wirklichen, echten Liebe handeln soll, müssen darin zunächst wirkliche, echte Menschen aufeinander treffen. Und dann müssen sie zusammenkommen …
 
Schreiben Sie mir bitte nicht vor, was ich fühlen soll
 
Alexander ist Metzger. Weil niemand mehr Fleisch beim Metzger kauft, wird der ältere Herr seinen Laden bald schließen müssen. Aber Metzger ist er nur von Beruf. Vor allem ist Alexander nachdenklich. Er streift gerne durch Berlin. Diese Stadt hat er seit Jahrzehnten nicht verlassen. Trotzdem hat er nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben.
 
Greta arbeitet im Sekretariat einer Schule. Vor allem aber ist sie ein ganz besonderer Mensch. Nachdem Greta und Alexander auf eine für Alexander besonders verwirrende Art aufeinander getroffen sind, muss der Mann sich entscheiden, ob die Frau für ihn besonders anstrengend ist oder doch eher besonders interessant? Weiß Greta, was sie will oder ist sie unverschämt? Hat sie Eigenheiten oder ist sie einfach durchgeknallt?
 
 
Lars Kraumes neuer Film macht es einem von Anfang an nicht leicht. Wir sehen die männliche Hauptfigur allein im Bus durch Berlin fahren. So weit so beliebig. Wie der erste Kontakt von Greta und Alexander an einer Bushaltestelle aussieht, möchte ich hier nicht verraten. Aber mir drängte sich bei dieser Szene sofort ein Gedanke auf: „Aha! Da will also mal jemand besonders originell sein.“
 
An der Stelle hatte der Film mich emotional fast verloren. Gleich danach musste ich einen Fehler feststellen. Warum kauft Alexander an dieser Stelle der Handlung ein Ticket für die Berliner Verkehrsbetriebe? Er ist gerade aus dem Bus gestiegen, hat also sicher ein gültiges Ticket. Dieser Fehler ist doch ebenso vermeidbar wie ungeschickt! So etwas nervt doch nur!
 
Und meine Nerven wurden weiter belastet. Sollte die weibliche Hauptfigur „frisch“ und „eigenwillig“ wirken? Mir ging sie auf die Nerven. Viel zu schnell lieferte sie viel zu viel Dialog und in diesem Dialog viel zu viele Details, die nicht zueinander passten. Diese Greta wollte zu viel und zu viel auf einmal. Wollte dieser Film etwa auch zu viel? Und wollte er auch zu viel auf einmal?
 
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Nach ein paar weiteren, anstrengenden Minuten veränderte sich meine Wahrnehmung. Ich musste ja von Greta genervt sein, weil sie Alexander nervt. Dieser Film erzählt Alexanders Geschichte. Wir sehen zunächst nur ihn. Greta platzt erst nach Alexanders beschaulicher Busfahrt in sein Leben. Und dann nervt Greta den armen Mann eben zunächst. Dieser Film muss vor allem zu Beginn anstrengend sein, denn das alles ist für Alexander zunächst mal anstrengend.
 
Für den Rest des Films werden wir Greta praktisch nur zusammen mit Alexander sehen. Alexander hat noch einzelne kurze Szenen allein, etwa wenn er seinen altmodischen Metzgerladen öffnet. Aber Greta sehen wir nur zusammen mit Alexander. Wir erleben diese Frau nur mit und durch ihn. Wir sehen Greta durch Alexanders Augen. Bis zum Schluss ergibt manches an dieser Frau nur wenig Sinn. Einiges wirkt nicht stimmig.
 
So wie Greta es Alexander schwer macht, macht der Film es dem Publikum schwer. Ich habe mich zum Beispiel auch am Ende des Films noch gefragt, ob eine von Greta gesuchte Person überhaupt existiert. Und Alexander ist viel zu intelligent, um sich diese Frage nicht auch gestellt zu haben. Alexander muss sich entschieden haben, diese Frage zu ignorieren, weil er zu dem Zeitpunkt längst in Greta verliebt war. Das Publikum muss sich entscheiden, ob es diese und andere Fragen und Unstimmigkeiten ignorieren will, um den Film genießen zu können.
 
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Finden Sie mich anstrengend oder bezaubernd?
 
Regisseur Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) hat das Drehbuch zusammen mit Dorothee Schön und Anna Ditges auf der Grundlage eines Theaterstücks des Briten Simon Stephens geschrieben. Schön und Ditges haben bisher vor allem fürs Deutsche Fernsehen geschrieben und das hört und sieht man an einzelnen Stellen. Der Film will manchmal schlauer sein als er ist und wirkt an einigen Stellen doch leider zu gefällig und zuweilen ein wenig plump gestaltet.
 
Aber vielleicht liegt es an der Vorlage oder vielleicht hat man sich während der Arbeit am Drehbuch dann doch immer mal wieder gegenseitig inspiriert oder beides und noch mehr. Auf jeden Fall liefert „Die Unschärferelation der Liebe“ einige der interessantesten Dialoge, die man dieses Jahr in einem Deutschen Film zu hören bekommen wird. Eine wunderschöne Einsicht Alexanders will ich unseren Leser*innen als Kostprobe anbieten: „Die Leute machen sich viel zu viel Gedanken darüber, was sie sind. Sie sollten mehr darüber nachdenken, was sie tun.“
 
Solche und ähnliche Sätze nicht belehrend vorzutragen, sondern ganz natürlich im Gespräch zu äußern, ist eine Aufgabe, der nicht jeder Deutsche Schauspieler gewachsen wäre. Diesen Alexander immer wieder sinnvoll auf Gretas Unsinn reagieren zu lassen, muss eine Herausforderung gewesen sein. Nach „Der Staat gegen Fritz Bauer“ kann sich Regisseur Kraume wieder auf Burghart Klaußner verlassen. Der erfahrene Bühnen- und Filmschauspieler vermittelt so viel liebenswerte Gelassenheit, wir möchten Alexander am liebsten in seiner Metzgerei besuchen, um mehr Zeit mit ihm verbringen zu können.
 
Die größte Herausforderung für Burghart Klaußner muss es gewesen sein, neben Caroline Peters bestehen zu können. Man kannte die Burgschauspielerin vielleicht aus der Fernsehserie „Mord mit Aussicht“ bevor sie vor einigen Jahren ihr Talent in „Der Vorname“ und zuletzt in „Der Nachname“ verschwendet hat. Hier sprüht Peters vor Energie. Ihre Greta ist ein unerschöpflicher Quell an Wörtern, Gefühlen, Widersprüchen und mehr. Und mit all dem überschüttet sie Alexander und das Publikum.
 
Andere Schauspielerinnen hätten Greta wohl als Naturgewalt dargestellt, hätten eine „tour de force“ abgeliefert. Caroline Peters spielt immer eine echte Frau. Anstrengend aber mitten im Leben stehend. Sie spielt nie für sich. Ihre Greta ist ständig im Austausch mit Alexander, reagiert auf seine Verwirrung genauso wie auf seine Gelassenheit. Sie denkt über das was er sagt nach und antwortet, manchmal zu schnell und dann wieder wohlüberlegt. Das Zusammenspiel zwischen Caroline Peters und Burghart Klaußner macht den Film sehenswert. Die beiden vermitteln uns so viel Lebendigkeit, wir merken gar nicht, wie sie mitten in Berlin ein (beinahe-)Zweipersonenstück aufführen.
 
Fazit
 
Im echten Leben treffen ständig Menschen aufeinander. Aber nur wenige begegnen einander wirklich. Und nur wenige Menschen kommen tatsächlich zusammen. Vielleicht macht das diesen Film besonders: hier kommen tatsächlich zwei echte Menschen zusammen. Dazu passt noch ein Zitat aus dem Film: „Mehr brauch ich nicht. Mehr muss ich nicht wissen.“
 
 
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