Kritik: In voller Blüte
| Autor: Peter Osteried |
Es ist eine wahre Geschichte, die hier erzählt wird – und eine, die eine wunderbare Altersrolle für Michael Caine zu bieten hat. Für ihn ist es auch so etwas wie die Abschiedsvorstellung. Er ist jetzt 90 Jahre alt, nicht mehr so gut auf den Beinen und findet den Moment gekommen, sich von der Schauspielerei zurückzuziehen. Einen besseren Film hätte er dafür nicht finden können!
Das große Abenteuer
Bernie Jordan ist 90 Jahre alt. Er wollte zu den Feierlichkeiten anlässlich des 70. Jahrestags der Erstürmung der Normandie nach Frankreich, aber die organisierten Reisegruppen sind bereits voll. Er war zu spät dran. So ermutigt seine Frau Rene ihn, einfach auf eigene Faust zu reisen. Was er auch tut. Eines Morgens verlässt er das Alten- und Pflegeheim, ohne jemandem etwas zu sagen, woraufhin Stunden später das Personal die Polizei verständigt.
Da ist Bernie schon auf dem Weg nach Frankreich, lernt einen neuen Freund kennen, erinnert sich an jenen schicksalshaften Tag vor 70 Jahren und weiß, dass er etwas tun muss, das er viel zu lange aufgeschoben hat.
Der große Ausbruch
Es ist eine wahre Geschichte, die hier verfilmt wurde. Sicher, man hat sich Freiheiten genommen, was die Reise selbst betrifft – wen Bernie trifft und wie sich das alles darstellt –, aber das mindert die mächtige Wirkung des Films nicht. Kurz gesagt: Ein toller Film für jede Altersgruppe.
Nur eines ist an dem Film unschön: der deutsche Titel. IN VOLLER BLÜTE ist vollkommen nichtssagend, auch völlig unpassend. Der Originaltitel THE GREAT ESCAPER bezieht sich auch auf einen großen Film: den Weltkriegsklassiker THE GREAT ESCAPE, der hierzulande GESPRENGTE KETTEN heißt. Bernie ist der große Ausbrecher, auch wenn es gar kein Ausbruch ist, den er im Altenheim unternehmen muss. Aber eine große Reise unternimmt er schon. Was dabei passiert, ist zutiefst emotional.
Eine große Liebe
Der Film zeigt sehr schön die große Liebe von Bernie und seiner Frau Rene, die seit 70 Jahren zusammen sind. Das ist der Kern des Films, aber nicht alles, und doch so viel. Weil er von einem Leben erzählt, das an diesen Punkt führte – große und kleine Momente, Höhen und Tiefen, aber all das gipfelte in einer Liebe, die nie verging. Seine Emotionalität bezieht der Film aber auch aus anderen Sequenzen.
Es ist wunderschön, wie Bernie einen Kameraden kennen lernt, der ihm auch hilft. Für den Part wurde John Standing angeheuert, was eine Bedingung von Michael Caine war, den Film überhaupt zu machen. Ihn verbindet seit den 50er Jahren eine Freundschaft mit Standing, was man den beiden auch anmerkt. Es sind tolle Szenen, wenn sie gemeinsam der Freunde, die in der Normandie gefallen sind, gedenken.
Es gibt eine großartige Szene, in der Bernie und sein Freund in einem Pub einige alte Soldaten sehen. Es sind Deutsche, die gekommen sind, um ihrer Freunde zu gedenken. Bernie bittet den Ladenbesitzer, sie vorzustellen und zu übersetzen. Es hätte ein Moment des Aufeinanderprallens sein können, stehen sich hier doch Feinde von einst gegenüber, aber sie verstehen einander. Sie alle verbindet etwas miteinander, und das gipfelt in einem hochemotionalen Moment, in dem sich Deutsche und Briten voneinander mit militärischem Respekt verabschieden. Einer der Deutschen wird übrigens von Wolf Kahler gespielt – ihn kennt man als Obersturmbannführer in JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES.
Fazit
IN VOLLER BLÜTE ist ein starker, eindringlicher Film über das Leben und die Liebe und mit der Botschaft, dass man beides genießen muss und soll – in den großen, aber und vor allem auch den kleinen Momenten. Wenn einem nach Tanzen ist, tanzt man, wenn man fluchen will, flucht man, und wenn man liebt, liebt man – das Alter ist da von absoluter Nebensächlichkeit. Einer der schönsten Filme des Jahres, der viel über das Menschsein – und über Menschlichkeit – zu sagen hat. Absolut sehenswert!
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