„Deus ex machina“ in „Treasure“: Vater und Tochter besuchen die Wohnung, in der Edek früher mit seiner Familie lebte. Wenn die armen, aktuellen Bewohner nach über fünfzig Jahren noch immer auf dem Sofa von Edeks Familie sitzen, erscheint das unwahrscheinlich aber nicht völlig ausgeschlossen. Dass diese armen Leute all die Jahrzehnte weder das Porzellan noch eine Silberschale von Edeks Familie verkauft haben, erscheint noch viel unwahrscheinlicher. Aber dann findet sich dort auch der unversehrte Mantel von Edeks Vater! Während des zweiten Weltkriegs, während der harten Nachkriegszeit, während Jahrzehnten sowjetischer Misswirtschaft soll niemand jemals während eines von über fünfzig harten polnischen Wintern diesen Mantel aufgetragen haben?
In diesem Film verschwinden die Grenzen zwischen „Deus ex machina“ und „WTF?“. Ein besonders übler Moment dieser Art beleidigt dann gegen Ende des Films nochmal ohne jede Vorbereitung die Intelligenz des Publikums, ergibt an der Stelle keinen Sinn und bereichert den Film kein Bisschen. Die handelnden Personen in einem Film namens „Treasure“ am Ende tatsächlich einen Schatz ausgraben zu lassen, obwohl es in dem Film gar nicht darum geht oder gehen sollte, bringt dem Film dann auch eine wohlverdiente Nominierung für den Darren-Aronofsky-Ehrenpreis für besonders subtile Filmkunst ein.
Schlimmer als das Drehbuch ist nur die Regie von Julia von Heinz. Wie in einem typischen „Tatort“ (von denen von Heinz bereits einen inszeniert hat) oder einem „Hanni & Nanni“-Film (deren zweiten Teil von Heinz inszeniert hat) wird kaum etwas von der Handlung tatsächlich gezeigt, sondern alles nur immer und immer wieder im Dialog erklärt. Dabei wäre das doch so einfach. Film ist ein visuelles Medium. Von Heinz ausgebildete Diplomkamerafrau. Und Polen und der Osten Deutschlands (in dem tatsächlich die Hälfte der Dreharbeiten stattfanden) hätten durchaus Sehenswertes zu bieten.
Aber nur selten zeigt uns von Heinz, was ihre Figuren erleben und fühlen. Eine nette kleine Szene in einer alten Fabrik, in der Ruth zuerst den hochwertig gestalteten Boden aus der Zeit vor dem Krieg bewundert und dann eine Türklinke entdeckt und mitnimmt, ist sehr berührend gestaltet. Wenn am Ende eine Familie mit kleinem Kind ein Taxi besteigt, das vorher tagelang ganz andere Passagiere kutschierte, vermittelt uns dieses einfache Bild, wie die Welt sich weiterdreht und welche Hoffnung man daraus ziehen kann.
Aber diese beiden feinen kleinen Szenen bleiben einsame Inseln der Bildsprache im ewiggleichen Strom des Dialogs, der nie ein Ende nehmen will. Vater und Tochter reden ständig. Und sie reden ständig aneinander vorbei. Sämtliche Vorwürfe der Tochter dem Vater gegenüber, sollte sie sich selbst machen. Das ganze Gerede führt zu keiner Entwicklung. Die Tochter versteht den Vater nach 105 Minuten Laufzeit kein bisschen besser als zu Beginn des Films und umgekehrt wirkt es nicht anders. Das „Deus ex machina“-Happy-End ändert daran rein gar nichts und betont die Ergebnislosigkeit des endlosen Dialogs und damit des ganzen Films nur noch.
Der großartige Rupert Everett meinte in einem Interview mit unserem Magazin einmal über die Auswahl der Darsteller*innen durch den Regisseur: „Wenn Du die Mitwirkenden falsch auswählst, gibt es nicht mehr viel was Du noch tun kannst. Wenn Du aber richtig auswählst, wird das Ganze zu einer gut geölten Maschine, die von selbst läuft und für Dich arbeitet.“. Da beide Hauptdarsteller*innen von „Treasure“ furchtbare Fehlbesetzungen sind, hat die Regie also auch hier leider versagt.
Stephen Fry ist nur nebenberuflich Schauspieler. Er ist auch Regisseur, Journalist, Dichter, Komiker, Moderator, der berühmteste Hörbuchsprecher des englischen Sprachraums (u.a. „Harry Potter“ und „Pu der Bär“) und Autor von Drehbüchern, Romanen und Sachbüchern. Dieser hochintelligente Mann hat sogar schon ein Opernlibretto verfasst und ist vielleicht einer der letzten echten Renaissancemenschen.
Zum Glück ist er nur Nebenberufsschauspieler, den er schafft es niemals seine Intelligenz zu verbergen. Den unbedarften Greis kauft man ihm keine Sekunde lang ab. Und mit seiner bärenhaften Gestalt (195 cm und ein nicht unbeträchtliches Gewicht) spielt er als Holocaustüberlebender leider bergauf.
Mit der Arbeit von Lena Dunham war ich bisher nicht vertraut, weil ich TV-Serien wie „Girls“ meide wie der Teufel das Weihwasser. In „Once Upon a Time in Hollywood“ hat sie als Mitglied der Manson-Family bei mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ihre Figur in „Treasure“ wirkt klinisch depressiv und bräuchte dringend eine längere, intensive Therapie und keine Reise nach Auschwitz. Sollte diese Rollengestaltung Dunhams bewusste Entscheidung gewesen sein, war sie fehlbesetzt. Sollte diese depressive Stimmung ihrem persönlichen (Schauspiel-)Stil geschuldet sein, war sie ebenso fehlbesetzt.