Costner lässt sich Zeit für Auftritt
Unterdessen schließt sich der beim Massaker ebenfalls verschont gebliebene Russell Ganz (Etienne Kellici), ein unerfahrener Bursche, einer Gruppe von Skalpjägern an, die die indigenen Angreifer aufspüren wollen und große Geschäfte wittern.
Mehrere hundert Meilen weiter nördlich kämpft Lucy (Jena Malone) unter dem falschen Namen Ellen in einem kleinen Ort in Wyoming um einen Neustart. Nachdem sie in Montana auf einen gewissen James Sykes (Charles Halford) geschossen hat, ist sie auf der Flucht vor seinen rachsüchtigen Söhnen Junior (Jon Beavers) und Caleb (Jamie Campbell Bower). Bei Lucy/Ellen wohnt die Prostituierte Marigold (Abbey Lee), die sich an den in der Siedlung ankommenden Pferdehändler Hayes Ellison (erst nach einer Stunde auftretend: Kevin Costner) ranschmeißt.
Andernorts zieht eine Planwagengruppe, angeführt von Matthew Van Weyden (Luke Wilson), Richtung Horizon. Mittendrin: einige Angehörige von Kittredges getötetem Ehemann. Angst vor Attacken durch Ureinwohner und interne Spannungen machen das Unterfangen nicht gerade zu einer Spazierfahrt.
Costner, der mit der Neo-Western-Serie „Yellowstone“ (aus der er in inzwischen ausgestiegen ist) in den letzten Jahren überraschende Erfolge feiern konnte, zementiert seine Ambitionen bereits im Untertitel seines großen Kinoprojekts, der von einer amerikanischen Saga spricht. Wer hoch hinaus will, muss sich an seinen Ansprüchen messen lassen. Vor allem dann, wenn man wie der Oscar-Preisträger ständig betont, dass viele andere Western langweilig seien und sich unecht anfühlen würden.
Es fehlt strukturierende Hand Seinen Mut in allen Ehren, aber der erste Teil der „Horizon“-Geschichte lässt doch einige Wünsche offen. Zum einen bemüht sich der Film, zu zeigen, dass Gewalt und Gier unauflöslich mit dem Entstehen der USA verbunden sind. Die Grausamkeiten auf allen Seiten werden allerdings oft nur angedeutet. Dem Schrecken richtig ins Auge zu blicken, wagen die Macher nicht.
Im Drehbuch, das Costner zusammen mit Jon Baird verfasste, spielen viele wichtige Themen – etwa Migration, Rassismus und die kapitalistische Logik – eine Rolle. Den beiden gelingt es jedoch nicht, sie so anzuordnen, dass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Manches wird stichwortartig eingeworfen, fällt dann hinten runter, nur um später plötzlich wieder aufzutauchen.
Stränge und Charaktere kriegt der Film nie richtig in den Griff, hinterlässt den Eindruck eines wilden Sammelsuriums, in dem diverse Beziehungen seltsam unklar bleiben und nicht gerade wenige Klischees zum Tragen kommen. Wie steht es beispielsweise genau um das Verhältnis zwischen dem schweigsamen Ellison und der nur halb so alten Marigold, die ihn fortlaufend „Schatz“ nennt? Hat sie mit ihm Sex, weil sie wirklich etwas für ihn empfindet?
Oder sieht sie das Ganze, wie eine Kurzschlusshandlung andeutet, nur als Zweckgemeinschaft? Auch das Bemühen, der indigenen Perspektive Rechnung zu tragen, wirkt halbherzig. Wieso hat der gegen seinen Stammesältesten aufbegehrende Apache Pionsenay (Owen Crow Shoe), der den Überfall auf Horizon orchestriert, irgendwann kaum noch Bedeutung für die Handlung?
Ist das erste „Horizon“-Kapitel also eine gewaltige Enttäuschung? Mit einem solchen Urteil würde man Costner Unrecht tun. Immerhin hat sein Western auch unbestreitbare Qualitäten. Allen voran die Kostüme und die liebevoll nachgestellten Sets sowie die Kameraarbeit von J. Michael Muro („L.A. Crash“). Wie es sich für einen Beitrag dieses Genres gehört, schwelgt der Film in majestätischen Panoramaaufnahmen und zeigt uns die Mannigfaltigkeit der US-amerikanischen Natur.
Rund um Horizon dominiert eine von Canyons durchzogene, staubig-lebensfeindliche Wüstenlandschaft. Im grünen Wyoming wiederum leuchten die gelben Birkenbaumblätter um die Wette. Ein wirklich toller Anblick! Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die Bilder des Öfteren in Richtung Hochglanz tendieren und gerade nicht absolut glaubwürdig vermitteln, wie es damals im Wilden Westen aussah.