Vielleicht ist Bob Dylan einfach eine schwierige Wahl als Hauptfigur eines solchen Films. Johnny Cash war immer cool und trotzdem sympathisch. Selbst wenn er Unsinn wie „Chicken in Black“ gesungen hat. Er ist in der „Muppet Show“ aufgetreten. Und Inspektor Columbo hat es richtig leidgetan, ihn am Ende verhaften zu müssen. Cash war ein Kerl wie wir ihn alle als Freund haben wollten. Bob Dylan ist der Typ, der im Musikvideo zu „We are the World“ die Chorpassagen einfach nicht mitsingt. Vor einigen Jahren hat er erst so getan, als hätte er 14 Tage lang nicht mitbekommen, dass man ihm den Nobelpreis verliehen hat und ihn dann ein halbes Jahr nicht abgeholt. Wieder bringt es Joan Baez auf den Punkt: „You’re kind of an asshole, Bob“.
So gesehen ist die Oscar-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch weitgehend gerechtfertigt. Die beiden Autoren haben es geschafft, aus diesem merkwürdigen, unzugänglichen Menschen den Helden einer interessanten, spannenden Filmbiografie zu machen. Zuseher die bisher nur wenig von Bob Dylan wussten, merken ohnehin nicht, wie stark fiktionalisiert das Ganze ist. Und selbst echte Fans können sich über das Wiedersehen mit berühmten Zeitgenossen und Weggefährten freuen oder jedes Mal zusammenzucken, wenn der junge Dylan wieder mal wie ein Trottel mit seinem Motorrad fährt.
How does it feel?
Auch die Nominierung für den Oscar für die beste Regie geht völlig in Ordnung. Natürlich ist das New York der frühen Sechziger ein bisschen zu schön und zu sauber, um hundertprozentig authentisch zu wirken. Aber der Look des Films ist zauberhaft und schnell gewinnt das Publikum ein Gefühl für diese ganz spezielle Zeit des Umbruchs (oder eben für die fiktionalisierte Version dieser Zeit).
Ebenso wie bereits bei „Walk the Line“ ist die großartige Arianne Phillips wieder für das Kostümdesign verantwortlich. Wie damals oder auch bei „Once upon a time in Hollywood …“ schafft sie wieder den Spagat zwischen einem authentischen Look und einer Coolness, mit der sie die Darsteller*innen teilweise sehr viel besser aussehen lässt als ihre Vorbilder.
Monica Barbaro („Top Gun: Maverick") wirkt in diesem Film sehr viel erotischer und energischer als man Joan Baez vielleicht in Erinnerung haben mag. Aber ihre Darstellung ist absolut stimmig und bereichert den Film ungemein. Elle Fanning („Maleficent“) bleibt etwas zu farblos in der Rolle einer Figur, die offensichtlich Suze Rotolo sein soll, aber aus irgendeinem Grund im Film nicht so heißt. Diese Entscheidung der Filmemacher kommt überraschend, sind doch andere Weggefährten Dylans oder ihre Bedeutung mindestens ebenso fiktionalisiert worden.
So zum Beispiel Pete Seeger, der hier von Edward Norton dargestellt wird. Norton ist zwar etwas zu alt für den Part, vermittelt aber sehr gut die Freundlichkeit und Würde seines Vorbilds. Seine Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller gebührt aber tatsächlich dem großartigen Scoot McNairy („Speak No Evil“) in seiner fast stummen Rolle als todkranker Woody Guthrie. Boyd Holbrook arbeitet nach „Logan“ und „Indiana Jones und die scheißdämliche Zeitreise“ zum dritten Mal mit James Mangold zusammen und gibt einen wirklich überzeugenden Johnny Cash ab.
Der Star dieses Films ist natürlich Timothée Chalamet. Nachdem er in „Star Wars auf Valium“ (auch unter dem Namen „Dune“ und „Even more Dune“ bekannt) komplett fehlbesetzt war, spielt er hier eine Rolle, die zu spielen er geboren wurde. Man kann sich beim besten Willen keinen anderen Schauspieler als jungen Bob Dylan vorstellen (sorry, Cate Blanchet). So wie sich seine Figur nur um sich selbst dreht, dreht sich der ganze Film um Chalamets Darstellung. Sollte er demnächst den Oscar als bester Hauptdarsteller gewinnen, muss Chalamet bitte unbedingt zwei Wochen lang so tun, als hätte er davon gar nichts mitbekommen.