Do not run from pain! Embrace it!
Nicht nur wird das harte Leben auf der Insel kaum jemals wirklich gezeigt. Man sieht auch von der Insel selbst immer wieder nur die gleichen drei Drehorte: den Strand, die Ecke in der das eine Haus steht und die andere Ecke, in der das andere Haus steht. Hat Ron Howard etwa mit festmontierten Kameras gedreht? Da bekommt man ja bei „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ mehr Dschungel zu sehen.
Und ungefähr so klischeehaft wie das Personal im Dschungelcamp kommen uns auch die Figuren in „Eden“ vor. Howard hat das Drehbuch zusammen mit einem jungen Autor namens Noah Pink verfasst, der bisher Drehbücher für zwei Filme und eine TV-Serie verfasst hat, von denen ich noch nie gehört hatte. Howard und Pink schaffen es nie, die für sich doch schon überaus interessante Geschichte irgendwie spannend zu gestalten.
Die Figuren bleiben reine Chargen. Eine Figur leider an Multipler Sklerose. Daher geht sie in der Hälfte ihrer Szenen am Stock. Nicht in allen, bloß der Hälfte. Eine andere Figur hat Asthma und das merkt man daran, dass uns davon erzählt wird, sonst nicht. Eine der Männer leidet seit dem ersten Weltkrieg an einer Kriegsneurose (heute würde man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung sprechen). Wie bekommen wir dieses furchtbare Leiden im Film vermittelt? Der Mann wacht einmal Nachts aus einem Alptraum auf und wird von seiner Frau darauf angesprochen. Das war’s.
Eine andere Figur tippt immer wieder Plattitüden wie, „What is the meaning of life? Pain!“ in die Schreibmaschine und liest sie dabei dem Publikum natürlich auch vor. Hier sind die letzten Worte eines Sterbenden auch schon mal, „I curse you with my dying breath!“. Alles, aber auch alles wird aus- und angesprochen. Und sämtliche Figuren in „Eden“ sprechen fließend Klischee.
Filmfans, die „Eden“ in der englischen Originalversion sehen, erwartet ein besonderes Vergnügen, wenn sie versuchen zu ergründen, warum die allesamt deutschsprachigen Charaktere mit recht unterschiedlich ausgeprägtem deutschem Akzent sprechen. Da gibt es auf der einen Seite die von der Britin Vanessa Kirby dargestellte Dora, die so spricht, wie Vanessa Kirby eben in jedem Film spricht. Auf der anderen Seite dieses breiten Spektrums hören wir Daniel Brühl, der klingt wie er als Nazi-Held in „Inglorious Basterds“ geklungen hat.
Irgendwo in der Mitte haben wir Jude Law, bei dem man nicht sicher sein kann, ob seine Art zu sprechen ein deutscher Akzent sein oder vermitteln soll, dass seiner Figur die Zähne fehlen. Howard verschwendet nicht nur das Potential seiner Vorlage und seiner Figuren sondern auch das seiner Besetzung. Jude Law („Captain Marvel“, „Dumbledores Geheimnisse“) hätte in seiner Rolle mindestens 50% mehr geben müssen. Ron Howard hat es nicht geschafft, diesen Darsteller zu mehr Intensität zu motivieren. Daniel Brühl bleibt komplett farblos und hinterlässt hier kaum mehr Eindruck als in „The King´s Man: The Beginning“.
Vanessa Kirby macht, was sie in fast jedem ihrer Filme tut: sie blickt andere Darsteller eindringlich unter beeindruckenden Wimpern hervor an und zeigt, wie anbetungswürdig ihr langer Hals wirkt. Das hat in zwei Teilen der „Mission Impossible“-Reihe so halbwegs funktioniert, in „The Son“ kaum und in „Napoleon“ gar nicht. Hier fragt man sich, was sie in diesem Film verloren hat.
Ana de Armas („Knives Out”) ist sicher auch keine große Mimin. Aber wenigstens erkennt sie, im Gegensatz zu ihrer Kollegin, dass sie in ihrer Chargenrolle als Hochstaplerin Gas zu geben hat. Also setzt sie den Fuß aufs Pedal und nimmt ihn während des gesamten Films nicht wieder runter. Subtil ist das alles nicht, aber wenigstens bekommt das Publikum bei ihr etwas zu sehen. Am ehesten gelingt es noch Sydney Sweeney („Wo die Lüge hinfällt“, Madame Web“) so etwas ähnliches wie einen echten Menschen darzustellen. Aber vielleicht wirkt das bloß im Vergleich zum Rest der Besetzung so.