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Kritik: Mickey 17

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Damit ein Film gelingt, müssen die Teile die funktionieren gegenüber den Teilen, die nicht funktionieren, überwiegen. Der neue Film von Bong Joon-ho ist auch in dieser Ansicht anders als die meisten Filme …
 
What’s it feel like to die?
 
In der Zukunft ist die ganze Welt am Arsch. So weit so erwartbar. Aber Mickey Barnes ist noch ein bisschen übler dran als die meisten Leute. Weil er unbedingt den Planeten verlassen muss, bewirbt Mickey sich für den einzigen Job, den jemand ohne Ausbildung und Talente auf einem jahrelangen Flug zu einer fremden Welt bekommen kann. Als „Expendable“ wird er für die lebensgefährliche Versuche und Missionen eingesetzt und nach seinem – immer wieder unausweichlichen - Tod neu geklont. Aber wer hätte gedacht, dass selbst bei einer ausweglosen Selbstmordmordmission etwas schief laufen kann …?
 
Es steht fest: Filmkritiker müssen sich alle Filme gleichermaßen unvoreingenommen ansehen. Ja, genauso wie Eltern alle ihre Kinder gleich lieb haben müssen, Leistungssportler nicht dopen dürfen und Küchenpersonal sich nach dem Toilettenbesuch die Hände waschen muss. Nachdem wir das festgehalten haben, darf ich unseren treuen Leser*innen anvertrauen, wie sehr ich mich auf „Mickey 17“ gefreut hatte. Und nicht nur das. Ich war neugierig auf den Film. Ich war voll gespannter Erwartung. Ich hätte diesem Film gegenüber nicht positiver gestimmt sein können.
 
 
Die internationale Filmwelt wurde zunächst 2006 erstmals auf den südkoreanischen Filmemacher Bong Joon-ho aufmerksam. „The Host“, von Joon-ho inszeniert und mitgeschrieben, war bloß oberflächlich betrachtet ein typischer Monsterfilm. „Mother“, dessen Drehbuch der Regisseur wieder zusammen mit einem Co-Autor verfasst hatte, begann als Thriller und endete als Charakterstudie eines zutiefst verzweifelten, einsamen Menschen. „Snowpiercer“ war ein Überraschungserfolg, der das beste von asiatischem und westlichem Kino zu etwas ganz Neuem kombinierte. Ähnliches lässt sich auch über den ganz anders gestalteten „Okja“ sagen.
 
Seinen größten Erfolg feiert Bong Joon-ho aber absolut zu recht mit „Parasite“. Alle vier der 2020 gewonnen Oscars waren hochverdient, sowohl der als bester fremdsprachiger Film als auch der als bester Film. Selten hat man einen Film gesehen, der so dicht an Themen war, der so mutig mit den Konventionen spielte und dabei alle Erwartungshaltungen durchkreuzt hat. Natürlich gab es bereits davor Filme, die mittendrin ihren Ton oder ihre Richtung geändert haben, von „Psycho“ bis „District 9“. Es gab auch schon Filme, die mittendrin ihr Genre geändert haben, wie zum Beispiel „From Dusk Till Dawn“. Aber „Parasite“ hat all das und noch mehr getan. Dieser Film hat das Publikum gezwungen, seine Perspektiven zu wechseln.
 
Vielleicht war der Druck, nach dem überragenden und ebenso originellen wie originären „Parasite“ einen würdigen Nachfolger zu drehen, zu groß. Vielleicht liegt es daran, dass „Mickey 17“ Bong Joon-hos erster richtig großer Hollywoodfilm ist (Das Budget betrug weit über Hundert Millionen Dollar und damit ein Zehnfaches des Budgets von „Parasite“). Es fällt auch auf, dass „Mickey 17“ seit langer Zeit das erste Drehbuch ist, das Joon-ho alleine und nicht mit einem Co-Autor verfasst hat. Vermutlich haben all diese Faktoren und noch einige mehr dazu beigetragen, dass „Mickey 17“ ein heilloses Durcheinander von guten Ideen, schlechten Ideen, banalen Ideen und unverständlichen Ideen ist, das ständig zu kippen droht.
 
Eines vorab: viele Teile von „Mickey 17“ funktionieren. Dabei ist die Summe der Teile des Films, die funktionieren eher kleiner als die der Teile, die nicht funktionieren. Die Teile die funktionieren, funktionieren bloß so gut, dass der Film auf eine schräge Art und Weise trotzdem sehenswert bleibt. In einer Hinsicht ist „Mickey 17“ wieder etwas ganz Besonderes: Selten hat man einen so hervorragend gemachten, weitgehend misslungenen Film gesehen.
 
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Dazu trägt auch die hervorragende Kameraarbeit des gebürtigen Persers Darius Khondji bei. Khondji hat unter anderem David Finchers „Sieben“, Alan Parkers „Evita“, Roman Polanskis „Die neun Pforten, Danny Boyles „The Beach“ und Michael Hanekes „Liebe“ auf Zelluloid gebannt. In „Mickey 17“ lässt er uns in wunderschönen, niemals plakativen Bildern, die Weite des Weltraums und die Enge des Raumschiffs erleben. Er vermittelt die Unwirtlichkeit eines fremden Planeten und die friedliche Übermacht seiner Bewohner. Großartig funktionieren auch das ebenso schräge wie realistische Production Design von Fiona Crombie („The Favourite“, „Cruella“) und die originellen Kostüme von Catherine George („Snowpiercer“).
 
That’s some crazy technology
 
„Mickey 17“ ist wirklich herrlich anzusehen. Aber selten hätte ein Drehbuch dringender nochmal (mehrmals?) überarbeitet werden müssen. Recht bald im Laufe des Films kann man beim besten Willen nicht mehr ignorieren, wie viele Teile der Handlung keinen rechten Sinn ergeben. Warum kann sich Mickey an seine früheren Tode erinnern, wenn seine neuen Versionen doch Kopien seiner allerersten Version sind und wir sogar gezeigt bekommen wie sein Gedächtnis, seine Persönlichkeit und anderes im Labor abgespeichert wurden und nicht erst bei seinem wiederholten Ableben? Warum haben verschiedene Versionen von ihm bereits direkt nach der Erzeugung unterschiedliche Persönlichkeiten?
 
Während die Hauptfigur (oder ihre Versionen) in ihren Grundzügen noch halbwegs funktioniert (oder funktionieren) und nur die Entwicklungen teilweise keinen rechten Sinn ergeben, summieren sich in den Nebenfiguren die größten Schwachpunkte des Drehbuchs. Zunächst einmal, was sollen das für Frauenfiguren sein? In der Zukunft sind alle Frauen rücksichtslos und/oder triebgesteuert? Warum fängt eine atemberaubend attraktive Elitesoldatin, die innerhalb des Mikrokosmos des Raumschiffes sicher zur Elite gehört, eine Beziehung mit einem Loser wie Mickey an? Warum braucht eine weitere dieser Amazonen mehrere Jahre, um das ganz offensichtlich furchtbare Frauenbild ihres erzkonservativen Auftraggebers zu erkennen? Was hat es mit der Besessenheit einer weiteren weiblichen Figur auf sich, aus allem Saucen zu machen? Was soll das alles und worauf will dieser Film überhaupt hinaus?
 
Und warum muss uns die Hauptfigur den ganzen Film erzählen? Wenn Martin Scorsese seine Gangsterfiguren gelegentlich aus dem Off sprechen lässt, geht das meistens in Ordnung. Aber ein Übermaß an „Voice over“ lässt immer eine gewisse Überforderung oder sogar Hilflosigkeit der Drehbuchautoren erkennen (siehe „The Great Gatsby“ oder die Urfassung von „Blade Runner“). „Mickey 17“ ist streckenweise mehr Hörbuch als Film. Dabei erzählt der Held uns nichts, das wir nicht auch auf der Leinwand sehen könnten. Vielleicht hält Bong Joon-ho sein Publikum für ebenso doof, wie die Figuren seines Drehbuchs?
 
Die Figuren dieses Films sind nämlich alle strohdumm. Autoren, die Komödien über dumme Hauptfiguren schreiben, machen es sich immer ein bisschen leicht. Intelligente Charaktere in witzige Situationen geraten zu lassen, ist wahre Kunst. Deshalb sind die Hauptfiguren in Drehbüchern von Neil Simon und Billy Wilder auch in der Regel viel intelligentere Menschen als etwa in Drehbüchern der Farrelly- oder Wayans-Brüder. Und selbst in deren Filmen sind nicht auch alle Nebenfiguren ebenso dumm. Nun, in „Mickey 17“ ist einfach jede Figur lächerlich dumm. Man stelle sich bitte einen Moment lang „Dumm und Dümmer“ vor, nur dass eben jede Figur, der die beiden Hauptfiguren begegnen, ebenso dämlich ist wie diese beiden. Sowas ist doch anstrengend und beleidigt die Intelligenz des Publikums.
 
Die Figur des konservativen Politikers und Geschäftsmannes ist ohnehin einer der unbeholfensten unter den vielen plumpen Versuchen ein offensichtliches Vorbild zu parodieren, die wir in den letzten acht Jahren gezeigt bekommen haben. Aber gerade bei dieser Figur hat es sich nicht nur Drehbuchautor Bong Joon-ho viel zu einfach gemacht, sondern auch der Darsteller. Mark Ruffalo hat in anspruchsvollen Filmen wie „Vergiss mein nicht“, „Foxcatcher“ oder „Spotlight“ immer wieder vielschichtige und feine Leistungen gezeigt. Hier ist davon nichts zu erkennen. Seine Leistung in „Mickey 17“ ist weniger eine Darstellung als eine Clown-Nummer.
 
Ganz anders sieht es bei der großartigen Toni Collette aus. Sie stiehlt nicht einfach nur nach „Knives Out“ und „Nightmare Alley“ wieder in einer vergleichsweise kleinen Nebenrolle jede einzelne ihrer Szenen. Sie verdeutlicht auch den Unterschied zwischen guten und hervorragenden Schauspieler*innen: hervorragende Schauspieler*innen können über schwache Drehbücher und/oder ungeschickte Inszenierungen hinaus spielen.
 
Ob die Britin Naomi Ackie eine gute Schauspielerin ist, ließ sich weder in „Star Wars – Episode IX: Der Herr Kaiser ist wieder da“ noch in „Blink Twice“ feststellen. Auch hier gelingt es ihr wieder nicht, über das schwache Drehbuch und vor allem über ihre ausgesprochen dumm geschriebene Figur hinaus zu spielen.
 
Zu den wenigen Teilen des Films, die sehr gut funktionieren, gehört die Leistung von Robert Pattinson. Der hat sich seit seinen Zeiten als Glitzervampir stetig weiterentwickelt und konnte in anspruchsvollen, ungewöhnlichen Filmen wie „Der Leuchtturm“ und „Tenet“ überzeugen. Ihm gelingt nicht bloß das Kunststück, über das dumme Drehbuch hinaus oder sogar hinweg zu spielen. Eine dumme Person intelligent darzustellen, ist schon schwer. Eine dumme Person, nach einem dummen Drehbuch intelligent darzustellen, ist eine ganz hervorragende Leistung. Pattinsons Darstellung verschiedener Mickeys bleibt immer menschlich, für uns stets nachvollziehbar und ist das Beste am ganzen Film.
 
Fazit
 
Ein Film bei dem die Teile, die nicht funktionieren, in Summe überwiegen, der aber trotzdem unterhaltsam bleibt, ist etwas ganz Besonderes. Hoffentlich ist sich Regisseur und Autor Bong Joon-ho bewusst, wie haarscharf sein Film an einem kompletten Misserfolg vorbeigeschrammt ist und welchen Anteil er daran hat.
 
 
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