DKDL 160x600 Wide Skyscraper Dis Kinoservice JETZT TS

 
nflix news
mm kritik
 
Autorin: Simone Michel
 
Frankreichs Top-Regisseur Xavier Giannoli präsentiert seinem Publikum mit „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ ein Drama mit einer Spur komödiantischer Elemente sowie einer sympathischen und zugleich bemitleidenswerten Protagonistin.
 
Der deutsche Titel verrät bereits einiges über den Kern der Geschichte, die im Jahr 1920 ansetzt: Die gutbetuchte Baronin Marguerite Dumont (Catherine Frot) ist eine begeisterte Opernsängerin. Sie kennt jede bekannte Arie auswendig und liebt es diese hin und wieder einem kleinen Publikum aus mutmaßlichen Freunden, Bekannten und anderen Musikinteressierten daheim vorzutragen. Ihre Zuhörer verschweigen ihr allerdings ein entscheidendes Detail –, dass sie keinen einzigen Ton trifft. Stattdessen feiern sie die gutmütige Baronin lauthals als große Operndiva und machen sich im Stillen über sie lustig.
 
Ganz zum Leidwesen ihres Ehemanns (André Marcon), mit dem sich Marguerite zusehends auseinanderlebt. Doch die alternde Dame lebt in einer Traumwelt, welche sich durch das Auftreten eines jungen Journalisten (Sylvain Dieuaide) nun aufzulösen droht…
 
 
Freie Interpretation einer faszinierenden Persönlichkeit
 
Xavier Giannoli, der seinen Durchbruch 2006 mit „Chanson d’amour“ erlangte, zeigt dem Kinopublikum mit „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ eine freie Interpretation einer unglaublichen Persönlichkeit. Im Gegensatz zur Hollywood-Version „Florence Foster Jenkins“ mit Meryl Streep und Hugh Grant in den Hauptrollen, die im kommenden Jahr Premiere feiert, hat sich Giannoli gegen einen biografischen Film entschieden.
 
Die Geschichte der untalentierten, amerikanischen Sängerin Florence verlegt der Regisseur kurzer Hand in die Zwanziger Jahre nach Frankreich und gibt der Sängerin einen neuen Namen und einen anderen Hintergrund, der sich an der realen Geschichte orientiert. Faszinierend ist die zwiespältige Stimmung, die Giannoli in seinem Film kreiert. Einerseits die prunkvollen Zwanziger Jahre mit ihren glamourösen Kostümen, prächtigen Anwesen und luxuriösen Feiern, aber andererseits einer Spur von Melancholie, die besonders durch die pointierte Setzung von künstlichem Licht, die grotesken Schwarz-Weiß-Fotografien der Protagonistin und natürlich durch diese selbst erzeugt wird.
 
Frankreichs Schauspieler-Elite vereint
 
Giannoli schafft es bei „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ Frankreichs renommierteste Schauspieler zu vereinen.
 
In der Hauptrolle der Marguerite, auf welche sich der Originaltitel beschränkt, sehen wir die großartige Catherine Frot, bekannt aus „Die Köchin und der Präsident“ und „Dinner für Spinner“. Sie verkörpert die Mischung aus obsessiver, naiver, humorvoller und melancholischer Möchtegern-Operndiva perfekt. Der Zuschauer amüsiert sich zunächst über deren mehr als schiefen Gesang, bekommt aber kurz darauf Mitleid mit der im Grunde einsamen Baronin. Lange bleibt hier die Frage offen, ob Marguerite um ihr Nicht-Können weiß und dies aus Liebe zur Musik ignoriert oder, ob sie sich dessen nicht bewusst ist und sich der Illusion ihres Talents mit Leib und Seele hingibt.
 
Auch der charmante Journalist Lucien Beaumont stellt sich diese Frage, der von dem hier zu Lande eher unbekannten Sylvain Dieuaide gespielt wird. Er ermutigt die ahnungslose Baronin vor großem Publikum aufzutreten. Ob er tatsächlich an Marguerite glaubt oder sich lediglich über sie lustig macht, weiß lange Zeit weder der Kinozuschauer noch seine Figur selbst. Dieuaide zeigt uns einen interessanten Charakter, der genauso ambivalent erscheint wie die weiteren Figuren. Dies gilt auch für Marguerites Ehemann Georges, welchen André Marcon verkörpert.
 
Er überzeugt in der Rolle eines unglücklichen Mannes, der sich von seiner Frau und ihrer Welt immer weiter distanziert. Er befindet sich zwischen den Stühlen: Soll er seiner Frau gestehen, dass sie nicht singen kann und ihren Lebenstraum zerstören, aber sich selbst so größere Pein ersparen? Oder belügt er sie weiterhin, um ihren Traum und sie zu schützen, doch sie beide somit zum Gespött der Nation zu machen? Dabei zudem immer Gefahr laufend, dass Marguerites Illusion durch Dritte zerplatzt.
 
Man fragt sich als Zuschauer nicht nur, wie man an Stelle von Georges handeln würde, sondern auch, wie man es sich an Stelle von Marguerite wünschen würde. Will ich die schonungslose Wahrheit wissen oder will ich weiterhin in meiner Traumwelt leben, so lange es möglich ist?
 
„Ohne Publikum lebt nichts.“
 
„Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ regt in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken an. Er ist ein sehr feinsinniger Film, der aufgrund dessen wohl aber auch nicht für jeden Kinofan geeignet ist.
 
Sowohl die Figuren als auch die Besetzung sind in jedem Fall sehenswert. Was die Handlung des Films anbelangt, so wirkt diese allerdings recht langgezogen. Auch wenn sie selbst wie ein klassisches Drama bzw. eine Oper aufgebaut ist, so fehlt der Handlung manchmal etwas Schwung. Einige Szenen scheinen sich zu sehr in die Länge zu ziehen. Dennoch ist die Geschichte insgesamt unterhaltsam und man wartet als Zuschauer gespannt auf den Moment der Auflösung.
 
„Ohne Publikum lebt nichts“, sagt es Madame Marguerite sehr passend. So geht es nicht nur den von ihr präsentierten Gesangsstücken, sondern auch den Filmen, die ohne ein Kinopublikum keinerlei Bedeutung haben. Wer also klassische französische Filme mit viel Emotion, Tiefgründigkeit und einem Augenzwinkern mag, dem sei ein Kinobesuch bei „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ von Herzen empfohlen...auch wenn man sich ab und zu die Ohren zuhalten möchte.