***Zeit für Legenden***

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Autor: Tim Prahle
 
In einer Zeit, in der scheinbar jede zweite Kinoneuheit die Helden-Geschichten aus dem Marvel- oder DC-Universum zeigt, kommt pünktlich zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro die Geschichte von Jesse Owens. Einem sportlichen Helden, der es geschafft hat, im Alleingang, Adolf Hitler und seinem Nazi-Regime eine deftige Niederlage zuzufügen. Ein Held, für den man also in kein fiktives Universum oder den Stoff einer antiken Legende eintauchen muss.
 
1934 in Ohio trainiert ein junge Athlet Jesse Owens (Stephan James) mit seinem Trainer Larry Snyder (Jason Sudeikes) für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Der Sprinter und Weitspringer Owens läuft regelmäßig Rekordzeiten, allerdings leidet er unter dem anhaltenden Rassismus, der ihm wiederfährt. Erst mit der Zeit gelingt es Snyder, seinem Schützling zu zeigen, wie er auf der Rennstrecke alles um sich herum ausblenden kann und der Afroamerikaner kann endlich seine Topleistung abrufen. Mit dem sportlichen Erfolg gewinnt er auch das überwiegend weiße Publikum für sich.
 
Parallel zu den Vorbereitungen von Owens diskutieren die wichtigsten Sportfunktionäre der Vereinigten Staaten, wie man mit dem anstehenden Großereignis in Nazi-Deutschland umgehen soll. Boykottrufe werden laut, Avery Brundage (Jeremy Irons) schafft es, die Funktionäre von dem Kompromiss zu überzeugen, einen Beobachter nach Berlin zu schicken, um die sportlichen und fairen Absichten zu beobachten.
 
Er reist selbst nach Berlin, trifft sich mit Propagandaminister Joseph Goebbels und sorgt dafür, dass die Spiele einen besseren Anstrich bekommen (zum Beispiel empfahl er, die „Juden raus“-Plakate zu entfernen). Die Nazis befolgten die Ratschläge, da ein drohender Boykott der USA den Spielen viel an Wert genommen hätte.
 
 
Zwischen Ohio und Berlin

Der Film wechselt gekonnt die Perspektiver der Geschichte. Bis bei den Spielen beide aufeinandertreffen. Er zeigt nicht nur die Vorbereitung und die Probleme von Jesse Owens, sondern erinnert auch an einen der ersten handfesten sportpolitischen Skandale der Neuzeit.
 
Die Verbindung zwischen dem Sportfunktionär Avery Brundage, der sich wider besseren Wissens aktiv gegen einen Boykott der USA einsetzte (später auch lange Jahre IOC-Präsident war) ist nie wirklich aufgearbeitet worden. Jesse Owens, dessen Spiele es werden sollten, hätte diese beinahe verpasst, da er gerade von der afroamerikanischen Gemeinde aber auch von seinem Gewissen dazu gedrängt wurde, nicht zu den Spielen zu fahren, da diese für die rassistische Propaganda der Nazis genutzt werden sollten.
 
Dass sich Owens dagegen entschied, die Spiele zu boykottieren, entkräftete das Bild des strahlenden Helden – und hebt den hart arbeitenden Athleten hervor, der in dem was er am besten kann, den größtmöglichen Erfolg erzielen will. Nämlich Laufen.
 
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Ein authentischer Held
 
Schauspieler Stephan James schafft es einen glaubwürdigen, sympathischen aber nicht künstlich „übernatürlichen“ Helden zu verkörpern. Sehr intensiv, humorig und gelungen ist die Interaktion mit Jason Sudeikes. Der „Wir sind die Millers“-Star und James lockern als Trainer-Athlet-Gespann die Atmosphäre, zeigen die menschlichen Seiten und verdeutlichen die große Freundschaft, die zwischen diesen beiden historischen Figuren bestand. Dem Trainer Snyder war es nämlich egal, welche Hautfarbe seine Sportler haben. Er wollte Erfolg – auch für sich persönlich. Die Erfolge Jesse Owens‘ sind ganz eng mit den Werten Snyders als Trainer und dem als Freund verknüpft.
 
Die Oscar-Preisträger Jeremy Irons (Avery Brundage) und William Hurt (als Jeremiah Mahoney) bereichern den Cast ebenso, wie die zwei aus deutscher Sicht interessanten Auftritte. Barnaby Metschurat („Solino“) verkörpert den entdämonisierten, jedoch sehr unheimlich und kaltherzig wirkenden Joseph Goebbels grandios. David Kross („Der Vorleser“) zeigt als Luz Long als Paradebeispiel der arischen Rasse herhalten sollte und im Weitsprung-Wettbewerb dann wahre sportliche Größe gegenüber Jesse Owens bewies, mit welcher Zerrissenheit, Abartigkeit und welch riesigem Druck auch oder gerade deutsche Athleten bei diesen Spielen konfrontiert wurden.
 
Es ist insbesondere Produzent Luc Dayan zu verdanken, dass die Geschichte von Jesse Owens und den Figuren um ihn herum in Spielfilmlänge aufgezeigt werden kann. Dayan hatte schon den preisgekrönten Kurzfilm „A Tribute to Jesse Owens and Carl Lewis“ verantwortet.
 
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Die Schwierigkeit der vielen Aspekte
 
Die Stärken des Filmes liegen darin, die unterschiedlichen Beziehungen der Figuren vielfältig darzustellen und so eine Heldengeschichte unaufgeregt und aus vielen Winkeln wiederzugeben. Regisseur Stephen Hopkins beweist zudem ein gutes Gespür für die Aufteilung zwischen der Vorbereitung auf die Spiele und den Spielen selbst. Der Zuschauer bekommt nicht das Gefühl, von einem Abschnitt zu wenig erfahren zu haben. Da können Nörgler auch die obligatorische epischen Pauken- und Trompetenmusik verzeihen, die beim großen Finale ganz heldenhaft ertönt.
 
Allerdings haben die vielen Winkel, die beleuchtet werden eine große Schwierigkeit: die Erzählung läuft wegen der zeitlichen Begrenzung, die ein Film nun einmal hat, durchgehend Gefahr, einzelne Aspekte zu wenig zu beleuchten. Zum Glück geschieht das kaum. Doch ausgerechnet die innere Zerrissenheit von Jesse Owens, der kurz vor dem größten Turnier als Sportler steht, gleichzeitig aber jedoch zum Repräsentanten, zum Vorkämpfer, einer ganzen Bevölkerungsgruppe hochsterilisiert wird und dementsprechend handeln soll, kommt zu kurz.
 
Rassismus gegen Sportbegeisterung
 
Der Film benötigt kein klassisches Gut-Böse-Schema (auch wenn die Nazis durchaus für eines der beiden herhalten könnten). Er zeigt auch den rassistischen Umgang der USA auf, in denen Jesse Owens bis zu seinem Tod 1980 niemals in das Weiße Haus eingeladen wurde, wie es bei großen erfolgreichen Sportlern eigentlich üblich ist. Die Doppeldeutigkeit des Original-Titels „Race“ (englisch für „Rennen“ und „Rasse“) bedarf keiner weiteren Erklärung. Doch Gekonnt werden im Film Rassismus und die Begeisterung bei sportlichen Erfolgen gegeneinander ausgespielt. Erst in den USA, dann in Berlin.
 
Die letzte Szene des Filmes zeigt, wie Jesse Owens bei einem Empfang zu seinen Ehren vom Haupteingang abgewiesen wird und er mit seiner Frau den Bediensteten-Eingang nehmen muss, wie es für Afroamerikaner damals üblich war. Da änderten auch die vier Goldmedaillen nichts.
 
Zum 80-Jährigen Jubiläum der Jesse Owens-Spiele kommt ein Film, der nicht nur sportbegeisterte Zuschauer in die Kinos locken sollte. Eng verwurzelt sind dabei die politischen Machtproben, die individuellen Egoismen und die Interaktionen einzelner Figuren mit der Geschichte und der Figur von der Legende Jesse Owens.
 
 
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