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cinderella kritik neu
 
Autor: Manuel Boecker
 
Schon der Auftakt ist tränenreich und philosophisch zugleich: Auf dem Sterbebett wiederholt Cinderellas Mutter für die schniefende Tochter ihre zentrale, wie auch banale, Lebensweisheit: „Hab Mut und sei immer freundlich.“ Und Regisseur Kenneth Branagh meißelt diese Grundwahrheit später so charmant und zuckersüß in sämtliche Szenen seiner „Cinderella“-Neuverfilmung, dass man als Zuschauer nicht ohne ein zärtliches Grinsen aus dem Kino kommt. Großes Popcorn-Familienkino.
 
„Freundlich“ ist „Cinderella“ in der Realfilm-Neuauflage des Disney-Zeichentrick-Klassikers von 1950 also auf jeden Fall, ob auch mutig im filmischen Sinne entscheiden die kommenden 65 Jahre bis zur nächsten Auflage. Die Möglichkeiten von Branagh und seinem Drehbuchautor Chris Weitz zu einer echten Neuinterpretation des Stoffes waren im starren Korsett der Erwartungen und Anforderungen der Disney Kreativschmiede eng gesteckt. Weil also die Story bis in die kleinste Szenenabfolge vorher bekannt und aus historischen Gründen unveränderbar war, verlegten die beiden ihre Konzentration voll auf die Ästhetik des Märchenumfeldes und das Innenleben der Figuren. Keine schlechte Entscheidung, wie später am Beispiel der fabelhaften Cate Blanchet zu sehen sein wird.
 
 
Jedes Wort zur Geschichte von „Cinderella“ wäre sicher eines zuviel, so bekannt ist die Geschichte der leidgeprüften Waise, die nichts ahnend im Wald dem Prinzen den Kopf verdreht und von der Stiefmutter – und den Stiefschwestern, Steine über Steine auf ihrem Weg zum Glück in den Weg gelegt bekommt. Erwähnenswert in diesem Falle ist nur die Quelle für beide „Cinderella“- Filme, die sich nicht bei Grimm, sondern dem Franzosen Charles Perrault findet, der 120 Jahre zuvor schon die Motive der Guten Fee und den ominösen Glasschuh verwendet hat.
 
Eine Besprechung der Neuverfilmung von 2015 kommt nicht ohne das Wort Kitsch aus. Ja, „Cinderella“ ist kitschig, ersäuft in rührseliger Bombast-Orchestrierung und schmeckt nach zuckersüßer 50er Jahre Biederkeit. Kurz: Der filmgewordene Mädchentraum einer Zehnjährigen. Doch wenn eine, böse gesagt, Märchen-Schmonzette so grandios wie von Kenneth Branagh umgesetzt wird, dann hat sie auch im Jahre 2015 ihre Berechtigung als strahlender Familienfilm, gerade in Opposition zur Überschwemmung des Marktes mit ungezählten Vampirgruseleien und Fantasy-Prügeleien.
 
Los geht die opulent garnierte Mahlzeit mit dem Szenenbild von Dante Ferretti, der das Märchen in diesem verschwurbelten Stilmix ansiedelt, den Amerikaner für das „alte“ Europa halten: Ein wenig Rokoko am Königshof, Biedermeier in der Wohnstube und Spätmittelalter in der Soldatenrüstung. Glücklicherweise wurden die meisten Kulissen detailversessen und in imposanter Größe in den britischen Pinewood-Studios aufgebaut und damit auf die plastikhafte Künstlichkeit zu vieler Computeranimationen verzichtet. In den Kostümen von Sandy Powell mischt sich dazu noch ein wenig farbenfroher Karneval aus Rio in Puppenstubenoptik und die Musik von Patrick Doyle klingt als wäre nicht ein achtzigköpfiges Orchester am Werk, sondern gleich drei davon. Insgesamt also von allem zuviel, zu bunt, zu laut und trotzdem gut, denn diese Details bilden nur die Wiege, aus der das wunderbare Schauspielensemble herauswachsen kann.
 
Als gar nicht so heimliche Hauptdarstellerin glänzt Cate Blanchet als Schwiegermutter, die es schafft, aus einem bösen Abziehbild eine verletzliche Frau mit offenem Hang zum Selbsthass zu machen. Denn diese Schwiegermutter ist nicht per se fies, Blanchet öffnet glaubhaft die Tür zum Inneren einer Figur, der vom Schicksal übel mitgespielt wurde, als gleich zwei ihrer Ehemänner versterben und sie ihr Leben mit der Verantwortung für zwei dämliche Töchter fristen muss. Dass Blanchet diese Tiefen mit solcher Schönheit und Grazie auslotet, zeigt wieder einmal in welcher Liga sie schauspielerisch angekommen ist. Ihre dusseligen Töchter Anastasia und Drisella (Holliday Grainger und Sophie McShera) bringen mit ihrem gehässigen Gekeife ein paar komische Elemente in den Film, gegen ihr aufgedrehtes Chargieren in knallbunten Kleidern wirkt Cinderella ohne viel Zutun bescheiden und geerdet.
 
Die Titelpartie wird von Lily James, bekannt als Lady Rose aus „Downton Abbey“ mit viel innerer Wärme gespielt, obwohl sie fast ständig, aus Rührung oder Enttäuschung, in Tränen aufgelöst ist. Am stärksten, weil vielschichtiger im Ausdruck des Erduldens und Leidens, sind die Bilder mit ihrer verkommenen Stiefverwandtschaft, doch auch die Liebesgeschichte mit dem Prinzen nimmt man ihr nach einem reizenden Flirt zu Pferde im Wald gerne ab. Nachdem sich die erste Verwirrung über den Auftritt des Prinzen (Richard Madden) gelegt hat, (er sieht haargenau aus wie eine jüngere Version ihres verstorbenen Vaters), akzeptiert man diesen Prinzen als geeignet für Aschenputtel: Unverdorben, edel, empathisch und treu, kurz: Etwas langweilig, aber dafür mit allen Prinzen-Elementen und einem Modelaussehen ausgestattet.
 
Die Starbesetzung des Films komplettieren Stellan Skarsgard, Helena Bonham Carter und Nonso Anozie, die ihre Nebenfiguren jeweils brav mit der nötigen Tiefe runterspielen, um ihre Funktion im dramaturgischen Konzept des Märchens zu erfüllen: Helena Bonham Carter als vertrottelte Fee, Skarsgard als Minister mit intriganten Blicken und Anozie als überloyaler Hauptmann.
 
Branagh war als Regisseur sicher eine gute Wahl, wenn es darum geht shakespearische Tragik in die Gesichter der Darsteller zu zaubern und gleichzeitig die rauschhafte Fantastik der großen Ballnacht zu bebildern. Ein besonderes Risiko sind die Disney-Bosse mit dem Stoff und der Besetzung dabei wahrlich nicht eingegangen, obwohl auch dieser scheinbare Selbstläufer erstmal ohne Peinlichkeiten auf die Leinwand gebracht werden muss.